Am 2. Juli hat die EU-Kommission den Entwurf einer neuen Antidiskriminierungsrichtlinie vorgelegt, mit der das bislang erreichte Schutzniveau ergänzt und abgerundet werden soll.

Wie so häufig bei aktuellen Vorhaben überdecken jedoch Stellungnahmen und öffentlich ausgetragene Streitigkeiten die Diskussion über die Inhalte des geplanten Rechtsaktes: Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke befürworten den vorliegenden Richtlinienvorschlag, der Bundeswirtschaftsminister Glos ist auf Grund unverhältnismäßiger Lasten für die Wirtschaft dagegen und auch die Leiterin der deutschen Antidiskriminierungsstelle, Frau Dr. Koeppen, befürchtet bei einer neuen Antidiskriminierungsrichtlinie immense Kosten und damit Schäden für die Wirtschaft, was wiederum Kritik von allen Seiten hervorruft. Was aber genau sieht die geplante Richtlinie vor? Welche Auswirkungen hätte sie? Erst wenn Antworten auf diese Fragen gefunden worden sind, kann eine Bewertung des Entwurfs erfolgen. Alles andere ist nur das sprichwörtliche Herumstochern im Nebel.

Wie sieht der Richtlinien-Entwurf aus?


Aus diesem Grund soll zunächst der Richtlinienentwurf untersucht werden, der zumindest in englischer Sprache vorliegt. Dabei handelt es sich um einen recht schlanken Rechtsakt, der aus insgesamt nur achtzehn Artikeln besteht und ähnlich strukturiert ist wie die anderen bisher erlassenen Antidiskriminierungsrichtlinien.

Welcher Schutz besteht nach der derzeitigen Rechtslage vor Diskriminierungen?

In ihren Erläuterungen nimmt die Kommission zunächst ausdrücklich auf die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung sowie die bereits erwähnten, bisher erlassenen Antidiskriminierungsrichtlinien Bezug, kommt aber zu dem Schluss, dass der bislang erreichte Schutz auf europäischer Ebene sich weitgehend auf arbeitsrechtliche Regelungen beschränkt. Nicht erfasst wird dagegen der allgemeine Zivilrechtsverkehr, also wenn zwei Personen ein Rechtsgeschäft vereinbaren, wie beispielsweise den Kauf eines Kleidungsstücks oder die Anmietung eines Hotelzimmers. Und wenn wir uns das im August 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ansehen, - das in dieser Zeitschrift im Oktober 2006 bereits vorgestellt wurde - so fällt auf, dass der damit bezweckte Schutz tatsächlich fast ausschließlich den wichtigen Bereich des Arbeitslebens betrifft. Lediglich bei wenigen zivilrechtlichen Geschäften wie etwa Massengeschäften ist ein gewisser Schutz vorgesehen.

Was wird mit dem neuen Richt- linien-Entwurf geregelt?


Dies soll mit der geplanten Richtlinie anders werden: Nach deren Artikel 3 wird eine Diskriminierung auf der Grundlage von Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung im öffentlichen und im privaten Bereich auf folgenden Gebieten ausgeschlossen sein:
  • sozialer Schutz, insbesondere Sozialversicherung und Gesundheitsfürsorge
  • Sozialleistungen
  • Bildungswesen
  • Zugang zu und Versorgung mit anderen, der Öffentlichkeit zugänglichen Leistungen, einschließlich des Wohnungswesens, allerdings beschränkt auf gewerblich tätige Personen
Eine private Vermietung eines Zimmers unterliegt daher also anderen Regeln als das Anbieten von Zimmern durch ein Hotel. Zudem erstreckt sich das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot lediglich auf die Bereiche, für die auch europarechtliche Kompetenzen bestehen, so dass insbesondere im Bildungswesen gewichtige Bereiche nicht erfasst werden, sondern weiterhin der Regelungsgewalt der Mitgliedstaaten unterstehen Artikel 4 der Richtlinie stellt sodann im Hinblick auf Menschen mit Behinderung ausdrücklich fest, dass bei der Schaffung einer effektiven und nicht diskriminierenden Zugänglichkeit in den oben genannten Bereichen eine Umsetzung unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit steht, d. h. eine Maßnahme, die darauf abzielt, Menschen mit Behinderung gleich zu behandeln, darf den davon Betroffenen nicht übermäßig belasten. Als nicht abschließend aufgeführte Gesichtspunkte werden in Artikel 4 Absatz 2 des Entwurfs ausdrücklich die Kosten, der mögliche Nutzen sowie die Größe des von der Maßnahme betroffenen Unternehmens genannt, Vor diesem Hintergrund lösen sich daher die vom Bundeswirtschaftsminister Glos geäußerten Bedenken hinsichtlich einer übermäßigen Belastung der Wirtschaft in Luft auf: weder muss ein Gastwirt nach Erlass und Umsetzung der Richtlinie per se damit rechnen, Speisekarten in Blindenschrift vorhalten oder Behindertentoiletten einbauen zu müssen, noch steht zu befürchten, dass Hauseigentümer jeweils kostenintensive rollstuhlgeeignete Aufzüge einzubauen haben. Ob und wann dies der Fall sein wird, bestimmt sich vielmehr nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Diese grundlegenden Verpflichtungen werden sodann - weitgehend nach dem Muster der bereits vorliegenden Antidiskriminierungsrichtlinien - durch eine Reihe von Vorschriften ergänzt. Lediglich beispielhaft seien hier erwähnt: die Ausgestaltung der Regelungen der Richtlinie als Mindestschutz, Artikel 6, (die eine darüber hinausgehende Regelung also keinesfalls ausschließen) ein effektiver Rechtsschutz, Artikel 7; eine Beweislastumkehr, Artikel 8, sowie ein in Artikel 11 vorgesehener Dialog zwischen öffentlichen Behörden und all denjenigen Organisationen, die Diskriminierung bekämpfen.

Wie ist der Entwurf zu bewerten?

Mit dem vorgelegten Richtlinienentwurf scheint ein sakrosankter Grundsatz unserer Rechtsordnung eingeschränkt, nämlich derjenige der Privatautonomie. Nach diesem Grundsatz kann grundsätzlich jeder mit jedem einen Vertrag abschließen - oder auch nicht. Wenn nun durch die vorgesehenen Vorschriften Diskriminierungen verboten werden, scheint dieser Grundsatz verletzt. Doch vergisst man dabei, dass bereits jetzt jegliches rechtsgeschäftliche Handeln unter gewissen Schranken steht, die durch gesetzliche Verbote, Sittenwidrigkeit und den Grundsatz von Treu und Glauben gezogen werden. Das durch die geplante europarechtliche Vorschrift vorgesehene Diskriminierungsverbot stellt sich also eher als eine zusätzliche Konkretisierung der bereits bestehenden Schranken dar, denn als neuer Angriff auf die Privatautonomie. Zudem ist es in mehrfacher Hinsicht beschränkt (inhaltlich auf bestimmte Gebiete und personell auf einen bestimmten Personenkreis) und unterliegt in einem wesentlichen Teilbereich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Kommission weist schließlich zutreffend darauf hin, dass der vorgelegte Richtlinienentwurf in weitem Umfang auf Rechtsbegriffe und eine Systematik zurückgreift, die den betroffenen Kreisen bereits aus den erlassenen Richtlinien bekannt ist, so dass bei der Anpassung an die Richtlinie ohne weiteres auf bereits gemachte Erfahrungen zurückgegriffen werden kann.

Wie sich die Richtlinie nach ihrer Umsetzung auf die Rechtsbeziehungen des Einzelnen auswirken wird, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab - Umsetzungstreue und -geschick der deutschen verantwortlichen Stellen, Handhabung der deutschen Gerichte oder Akzeptanz der verantwortlichen Kreise sind nur einige davon. Das Bestreben, Diskriminierungen im Rechtsverkehr zurückzudrängen, ist jedoch zu begrüßen, und das Bemühen, Praktikabilität und Diskriminierungsschutz miteinander in Einklang zu bringen, scheint - zumindest im Richtlinienentwurf - geglückt.

Wolfgang Vogl