Was hat der Mann nicht alles gezeichnet! Alles hat er gezeichnet. In seinen Mänteln trug er acht Skizzenbücher in verschiedenen Taschen mit sich herum, um festzuhalten, was ihm wert schien, festgehalten zu werden. Und da war kein Ding zu klein oder zu gering: ein Mann, der auf dem Abort sitzt oder am Urinal die letzten Tropfen abschüttelt, ein Gerüst für die Dachdecker, der Kamm der Köchin Lina mit den darin feststeckenden Haaren, ein Altar, eine Prozession - später für ein Ölbild als Vorwurf gut zu gebrauchen -, ein Nachtgeschirr und eine Familienszene mit Lampenlicht, Tiere, Bäume, technische Gerätschaften, Menschen. Er hat sehr genau hingeschaut und er muss rasend schnell gezeichnet oder ein eidetisches Gedächtnis gehabt haben, um auch noch so detailreich und -genau zu zeichnen.

Die Rede ist von Adolph Menzel. Von von Menzel, denn so durfte er sich in seinen späteren Lebensjahren nennen, aber der Adelstitel hat ihm so viel nicht genützt; weil er ein Außenseiter war und blieb. Außenseiter, weil er in die Kunst- und Galerieszene nicht passte. Der Vater hatte eine Lithographiewerkstatt und dort lernte er auch. Begann zu arbeiten, besuchte Kunstschulen, nicht die offizielle Akademie. Arbeitete. Arbeitete. Arbeitete.

Der berühmte Satz, von dem ich immer nicht weiß, ob ich ihn preisen oder verdammen soll, "Genie ist Fleiß", hier trifft er sicher zu. Aber Genie ist eben mehr als Fleiß, und das trifft hier erst recht zu. Denn wie Menzel nach dem frühen Tod der Eltern die Familie unterhält, nach dem Tod des Bruders noch dessen Fotostudio fortführt, erst spät zu Geld kommt, so dass er reisen kann, auch nach München, wo er das Hofbräuhaus liebt - das schon damals eine Touristen-Schenke war - und den Barberinischen Faun in der Glyptothek, dessen laszive Eleganz und Marmorglätte er großartig festhält, mit Bleistift auf Papier, da waren ja der Fleiß und die Arbeit gewissermaßen nur der Hintergrund, vor dem er "trotzdem" sehen und zeigen konnte, was er sehens- und zeigenswert fand.

Es gibt in der Malerei diesen eigentlich überflüssigen Streit zwischen Linie und Fläche, in dem die Zeichner die Linie, die Maler hingegen die Flächen für wichtiger halten. Ein müßiger Streit, denn beides ist notwendig – aber dass zeichnen Können eine gute (wenn nicht doch die) Grundlage ist, merkt man bei Menzel. Das Zeichnen, das einen genauen Blick auf die Wirklichkeit verlangt und verleiht, lernte er auch von Anfang an. Die Malerei hat er sich hingegen erst später und autodidaktisch angeeignet und so sind ihm bei der Arbeit technische Fehler unterlaufen, so dass manche Ölbilder in äußerst schlechtem konservatorischem Zustand sind: lauter Risse, wo man eigentlich etwas sehen sollte. Die berühmten Bilder Menzels sucht man in der Ausstellung vergebens, wie beispielsweise "Das Eisenwalzwerk", oder die unvollendete Reverenz des Souveräns vor den Märzgefallenen 1848 - ja, die Bourgeoisie als aufsteigende, revolutionäre Klasse und einer, der sie beobachtet, das war, auch bei den Sanssouci-Bildern, kein Adelsmaler. Es geht hier vielmehr darum, nicht die berühmten Werke zu zeigen, sondern wie die Sicht des Künstlers, die sich in seinen Zeichnungen niederschlägt, sein ganzes Werk beeinflusst hat. Kein Auge drückt er zu gegenüber der Schönheit und gegenüber der Hässlichkeit der Welt. Dekorierte Offiziere im Zustand der Verwesung, Soldaten im Lazarett, ein wunderschönes junges Mädchen auf dem Totenbett. Mit sich selbst geht er nicht anders um: sein Fuß in Öl, eine Studie wie für ein medizinisches Lehrbuch oder die linke Hand die rechte zeichnend oder ein Selbstbildnis mit Zahnrose: Schauen, was da ist.

Einen Außenseiter-Gesichtspunkt sollte man nicht vergessen: die Kleinwüchsigkeit des Künstlers. Sie mag dazu beigetragen haben, dass er trotz Ruhm und Geld lieber mit der Schwester verreiste, und, trotz durchaus vorhandenem Interesse am weiblichen Geschlecht unverheiratet blieb. Anders als Toulouse- Lautrec, der sich mit seiner adligen Herkunft - wenn schon, denn schon - um Konventionen nicht scherte, besuchte der Aufsteiger Menzel keine Bordelle, stieg aber immerhin auf die Tische eines Ballsaals, um einer opulenten Dame so richtig schön von oben ins Dekolleté zu schauen - und das Geschaute zu zeichnen.

Es ist eine faszinierende Ausstellung, die man noch bis zum 31.08.2008 besuchen kann.

Die Hypo-Kunsthalle ist sehr behindertenfreundlich: über Aufzüge gelangt man bequem in die Ausstellungsräume im zweiten Obergeschoß, für das leibliche Wohl ist im dort befindlichen Café gesorgt, eine Behindertentoilette ist vorhanden (im zweiten Obergeschoß) und Behinderte können mit Ermäßigungen rechnen.

Jürgen Walla