Der Südafrikaner Oscar Pistorius wurde 1986 ohne Zehen, Fußballen und Wadenbeine geboren, weshalb sich seine Eltern nach eingehender Beratung gezwungen sahen, einer Amputation der beiden Unterschenkel zuzustimmen. Bereits zwei Monate später bekam der kleine Oscar seine ersten Prothesen, betrieb von klein auf sehr viel Sport, insbesondere Tennis, Wasserpolo und Rugby und bezeichnete sich selbst gerne als "the fastest man without legs" (der schnellste Mann ohne Beine). Als sich Oscar Pistorius Anfang 2004 eine Knieverletzung zuzog, kam er sozusagen durch Zufall zur Leichtathletik und begann auf verschiedenen Distanzen zu laufen. Dabei war er so erfolgreich, dass er bereits bei den Paralympics in Athen 2004 mehrere Goldmedaillen gewann.

Doch der Ehrgeiz von Oscar Pistorius, der sich selbst nicht als behindert betrachtet, sondern lediglich als Mann ohne Beine ansieht, macht hier nicht halt: 2008 möchte er in Peking bei der Olympiade zusammen mit "normalen" Sportlern starten. Dieses Ziel hat in der Sportwelt, aber auch allgemein in den Medien für einige Aufregung gesorgt. So titelt beispielsweise die New York Times "An Amputee Sprinter: Is He Disabled or Too-Abled?" (Ein amputierter Läufer: Ist er behindert oder zu sehr fähig?). Hintergrund dieser Debatte sind die von Oscar Pistorius benutzten Karbonprothesen namens "Cheetahs". Diese sind j-förmig und werden in Island von der Firma Össur aus Karbonfaserplatten hergestellt, die mit Kunstharz unter extrem hohen Druck zusammengeleimt werden. Nach Auffassung der Kritiker sind diese Prothesen aber länger als erforderlich, so dass mit jedem Schritt mehr Weg zurückgelegt würde als normal. Nach Auffassung von Oscar Pistorius und seines Trainers entspricht dies nicht den Tatsachen, vielmehr beinhalte der Einsatz von Prothesen vielerlei Nachteile beispielsweise bei Regen oder Wind. Von einzelnen Experten wird ebenfalls die Auffassung vertreten, dass der Einsatz dieser Prothesen keinesfalls einen Vorteil gegenüber den anderen Athleten darstelle. Nachdem der internationale Leichtathletikverband (IAAF) erst dieses Jahr seine Wettbewerbsregeln dahingehend abgeändert hat, dass jegliches technische Mittel ausgeschlossen wurde, das Triebfedern, Räder oder andere Elemente umfasst, das dessen Benutzer Vorteile verschafft, die jemand ohne dieses Hilfsmittel nicht hätte, stellt sich naturgemäß die Frage, wie die von Oscar Pistorius eingesetzten Prothesen zu beurteilen sind, ob man sie also als unzulässige Hilfsmittel zu bewerten hat oder nicht. Von der Beantwortung dieser Frage wird es auch abhängen, ob Oscar Pistorius an den Olympischen Spielen 2008 in Peking teilnehmen kann oder nicht.

Gottlob macht sich der IAAF diese Entscheidung darüber jedoch nicht allzu leicht: Auf der Grundlage der von vielen als "lex Pistorius" empfundenen, oben näher erläuterten Vorschrift wird im Herbst diesen Jahres nämlich der Kölner Biomechanik-Experte Prof. Peter Bruggemann anhand von Videoanalysen, die bei den Starts von Oscar Pistorius bei den Wettbewerben in Rom und Sheffield im Juli 2007 gemacht wurden, untersuchen, ob Oscar Pistorius zu den Olympischen Spielen in Peking zugelassen werden kann.

Oscar Pistorius selbst lehnt jegliche "positive Diskriminierung" ab und würde auf eine Teilnahme an Wettbewerben verzichten, wenn er durch den Einsatz von Prothesen einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber den anderen Athleten hätte.

Unter dieser Prämisse ist dem vollinhaltlich zuzustimmen.

Wolfgang Vogl