Wie sieht der Entwurf aus und wo kann ich ihn nachlesen?
Der jetzt vorliegende Entwurf einer Konvention umfasst einschließlich des dazugehörigen Protokolls 34 Seiten und kann in englischer Sprache bei Netzwerk Artikel 3 nachgelesen werden, indem man bei Google den Begriff „Entwurf einer UN-Konvention für Behinderte“ eingibt. Die Konvention besteht dann aus insgesamt 50 Artikeln. Berücksichtigt man darüber hinaus aber die Tatsache, dass sich etwas über 20 Artikel mit technischen Fragen befassen, verbleiben knapp 30 Artikel oder etwa 17 Seiten, die Behinderte und deren Rechtsposition zum Gegenstand haben.

Was sehen die einschlägigen Bestimmungen des Konventionsentwurfs vor?
Bereits ein erstes Überfliegen der Überschriften dieser Artikel ergibt, dass versucht wurde,
alle Behinderte betreffenden Bereiche zu regeln: Zum einen befasst sich die Konvention mit grund-legenden Fragen in ihrer spezifischen Relevanz für Behinderte, wie Gleichheit und Nichtdiskriminierung (Artikel 5), Recht auf Leben (Artikel 10), Zugang zur Justiz (Artikel 13), Freiheit und Sicherheit der Person (Artikel 14), Freiheit von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Artikel 15), Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch (Artikel 16), Schutz der Unversehrtheit der Person (Artikel 17), Freizügigkeit (Artikel 18) und Recht der freien Meinungsäußerung, Meinungsfreiheit und Zugang zur Information (Artikel 21), zum andern regelt die Konvention eine Vielzahl von Themen, die für Behinderte besondere Bedeutung haben, gewissermaßen also behindertenspezifische Themen, wie
Gefahrensituationen für die Allgemeinbevölkerung in ihrer Relevanz für Behinderte (Artikel 11), Unabhängig leben und Teil der Gemeinschaft sein (Artikel 19), persönliche Mobilität (Artikel 20),
Achtung vor Privatsphäre (Artikel 22), Achtung vor Heim und Familie (Art 23), Bildung (Artikel 24),
Gesundheit (Artikel 25), Habilitation und Rehabilitation (Artikel 26), Arbeit und Beschäftigung (Artikel 27), soziale Sicherheit (Artikel 28) sowie Teilhabe am politischen, öffentlichen und kulturellen Leben (Artikel 29 und 30).
Daneben widmet sich der Konventionsentwurf in zwei eigenen Vorschriften Frauen und Kindern mit Behinderungen und für die Staaten insoweit zu berücksichtigende Besonderheiten (Artikel 6 und 7). Schließlich wird dieses Panorama durch einige für Behinderte besonders bedeutsame Teilaspekte
abgerundet, wie die Förderung des Bewusstseins für Behinderungen (Artikel 8), die Zugänglichkeit (Artikel 9) sowie die gleichberechtigte Anerkennung als Person vor dem Gesetz (Artikel 12). Dass letztere keinesfalls selbstverständlich ist, zeigen nicht zuletzt die Diskussionen zur darin geregelten Geschäftsfähigkeit im Rahmen der Verhandlungen und der Einfügung einer Fußnote, wonach der Ausdruck „legal capacity“ in der russischen, chinesischen und arabischen Fassung eher die Fähigkeit, Rechte zu haben, als die Fähigkeit, rechtlich zu handeln, meint.

Wie sind die Bestimmungen des Konventionsentwurfs zu bewerten?
Ungeachtet der letztgenannten Einschränkung stellt das von der UN-Konvention für Behinderte aber noch keine schöne neue Welt dar: viele der gewählten Formulierungen sind eher weich und lassen den daran gebundenen Ländern im Ernstfall viel Raum für Entschuldigungen und Rechtfertigungen. Dass die gefundene Lösung dennoch nicht nur ein dilatorischer Formelkompromiss ist, zeigt indes beispielsweise ein Blick auf Artikel 28: Wenn in Absatz 1 das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser nicht in einer die Länder konkret verpflichtenden Weise verankert wird, so zeigt ein Blick auf die Diskussionen anlässlich der Klimakonferenz in Nairobi im Herbst oder der aktuelle Bericht der UNESCO, dass gerade der Zugang zu sauberem Wasser in Ländern der Dritten Welt ein großes Problem darstellt. Hätte man bereits im Konventionsentwurf weitgehende, die unterzeichnenden Staaten in concreto bindende Verpflichtungen eingeführt, so würde es sich so manches Land der Dritten Welt sehr genau überlegen, ob es die Konvention unterzeichnet.
Andererseits spricht der Konventionsentwurf eine sehr deutliche Sprache, wenn er in Artikel 23 zum Ausdruck bringt, dass auch Behinderte das Recht auf Sexualität und Elternschaft haben und sich damit von der Euthanasie-Politik der Nationalsozialisten, von Zwangssterilisationen und von Zwangsadoptionen distanziert. Wenn man sich vor Augen führt, wie in verschiedenen Ländern gerade dieser Problemkreis gesehen wird, kann man sich den diesbezüglich bestehenden Diskussionsbedarf vorstellen. Die im Konventionsentwurf zum Ausdruck kommenden Überzeugungen werden somit Diskussionen in den einzelnen Staaten beeinflussen bzw. befördern und damit auf lange und sogar schon mittlere Sicht die Sensibilität für behindertenspezifische Belange fördern bzw. schärfen.

Wie verhalten sich einzelne Länder zum Konventionsentwurf?
Unter den darüber hinaus im Konventionsentwurf enthaltenen technischen Vorschriften bedürfen zwei Punkte der besonderen Erwähnung:
Zum einen sieht Artikel 45 ein Inkrafttreten der Konvention erst am dreißigsten Tag nach der Niederlegung der zwanzigsten Ratifizierung bzw. des zwanzigsten Beitritts vor. Auch wenn die Konvention bald von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wird, hatten nach Angaben von kobinet (www.kobinet-nachrichten.org) die USA, Kanada, Japan und Australien
bereits angekündigt, die Konvention nicht zu unterzeichnen. Seitens der USA wurde dies damit begründet, dass bereits entsprechende ähnliche Gesetze vorhanden wären. Nachdem derzeit lediglich 45 Staaten Gesetze besitzen, die behinderte Menschen schützen, andererseits aber ca. 80 Prozent der weltweit 650 Millionen Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsländern leben, steht zu befürchten, dass gerade diese Länder an den USA ein Beispiel nehmen und ebenfalls eine Unterzeichnung zu vermeiden bestrebt sein werden, nicht zuletzt um die mit der Umsetzung der Konvention verbundenen Kosten zu vermeiden.

Wie wird überwacht; wie die Zielsetzungen der Konvention von den Ländern umgesetzt werden?
Zum anderen enthalten die Artikel 34 – 39 detaillierte Regelungen über einen zu errichtenden Ausschuss, dem die Vertragsstaaten in regelmäßigen Abständen Berichte vorzulegen haben, auf die mit Vorschlägen und Empfehlungen reagiert werden kann. Durch die mit der Übergabe der Berichte und der Reaktionen seitens des Ausschusses verbundene Öffentlichkeit wird so eine gewisse Disziplinierung der Vertragsstaaten erreicht, da vermutlich kaum ein Staat als Schurkenstaat bei der Behandlung von Behinderten in der Weltöffentlichkeit dastehen möchte.

Würdigung der Konvention
Auch wenn die Konvention noch nicht das Ei des Kolumbus sein mag, postuliert sie doch erstmals verbindliche Mindeststandards für behinderte Menschen, auf denen dann in der Zukunft durch weitere
Rechtsakte aufgebaut werden kann. Zudem wird die Fülle der in der Konvention angesprochenen Themengebiete mehr oder weniger zwangsläufig Debatten in den einzelnen Staaten entfalten und so zu einer weiteren Sensibilisierung der Gesellschaft für Belange behinderter Menschen führen.

Wolfgang Vogl