„Sex & Love & Rocknrollstuhl“

Regie: Susanna Wüstneck Kamera: Florian Pawliczek Ton: Cord Steinbach

Ein gelungener Filmabend mit interessanten Diskussionen!

Am Mittwoch, den 1. Februar 2017, präsentierte der VbA-Selbstbestimmt Leben e.V. in Kooperation mit Lalie Filmproduktion und dem Monopol Kino München den Film „Sex & Love & Rocknrollstuhl“.

Die Filmemacherin Susanna Wüstneck erzählt in diesem Dokumentarfilm vom Leben mit Behinderung und der Sehnsucht nach Liebe und Sexualität. Die vier Menschen mit Behinderung, welche in diesem Film zu sehen und deren ehrliche, ungeschminkte Meinung zu hören sind, begegnen sich bei einem Erotik-Workshop im Institut.Selbstbestimmtheit Behinderter in Trebel, um mit ihren Sehnsüchten auf unterschiedliche Art und Weise umzugehen. Auch Susanne Wüstneck nahm zwischen den Interviews an dem Workshop teil - nicht nur, um eine möglichst authentische Dokumentation machen zu können. In den Podiumsgesprächen nach der Filmaufführung erzählte sie gerne darüber. Auch für sich konnte Susanna Einiges aus dem Workshop mitnehmen!

Vier Protagonisten waren bereit, sich vor die Kamera zu begeben. Sie zeigen uns, wie sie leben - selbstbestimmt, mutig und ohne Tabus. Alle vier leben mit einer Behinderung, die sie nicht daran hindert, ein ganz normales Leben zu führen - mit allem, was dazu gehört. Es sind Wiebke Hendeß mit progressive Muskeldystrophie (als Sexualberaterin und Peer Councelorin), Stefan Krusche mit Querschnittslähmung (als Peer Councelor), Nicola Schnakenberg mit einer Gelenkversteifung und Emanuel, ein sehr aktiver Mann, mit einer erworbenen halbseitigen Lähmung.

Was mir an diesem Film sehr gut gefallen hat, ist, dass es Susanna wirklich gelungen ist, dass man sich als Zuschauer nicht voyeuristisch fühlt. Trotzdem bringt der Film auch die Emotionen der vier Teilnehmerinnen und Teillnehmer ehrlich und authentisch auf den Punkt! In den Szenen darf der Zuschauer immer wieder zwischen dem Workshop auch in das Alltagsleben der vier eintauchen.

Der Dokumentarfilm "Love & Sex & Rocknrollstuhl" erzählt von der Einsamkeit, von dem Wunsch nach einem erfüllten Leben und der Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität. Wobei es nicht nur rein um den sexuellen Akt allein geht. Bei den Geschichten der vier selbstbewussten, mutigen Menschen, die mit einer starken körperlichen Behinderung leben, nämlich Nicola, Stefan, Wiebke und Emanuel geht es auch darum, nicht als Neutrum ohne Sexualität wahrgenommen zu werden, sondern explizit als Frau oder Mann im normalen Alltag. So spricht sich zum Beispiel Wiebke dezidiert dagegen aus, an typisch- speziellen Partys für Menschen mit Behinderung teilzunehmen. Man darf und soll Wiebke so wahrnehmen, wie sie leibt und lebt. Sie möchte auch die Chance haben, sich gegebenenfalls erklären zu können und liebt nebulöse Betrachtungsweisen und Gespräche überhaupt nicht. Sie sucht ganz bewusst die Auseinandersetzung mit den Unwissenden und leistet damit hervorragende Sensibilisierungs- und Aufklärungsarbeit!

Stefan hingegen wohnt in einer Umgebung, die ihm nicht genügend Sicherheit gibt, um offen über seinen Wunsch nach Liebe und Sexualität sprechen zu können. Er erzählt, wie schwierig es für einen Menschen mit Behinderung sein kann, in einer Umgebung mit (scheinbar) Nichtbehinderten mit seinen Bedürfnissen ernsthaft wahrgenommen zu werden. Aufgelockert werden seine Erzählungen durch Fotos aus seinem Lebensweg.

Emanuel hat es nach einer Gehirnblutung, die ihn nahezu bewegungsunfähig gemacht hatte, geschafft, wieder allein in einer kleinen Wohnung leben zu können. In dem Film erlebt der Zuschauer, mit welcher Verbissenheit er bei Wind und Wetter für den Erhalt seiner Beweglichkeit, somit seiner Mobilität und Selbstständigkeit, arbeitet: Er lässt uns auch in seine Wohnung, in welcher er alleine lebt, einen Blick werfen.

Wiebke sieht man gemeinsam mit einer bunten Gruppe ihrer Freunde und mit täglicher, persönlicher Assistenz in einem behindertengerecht gebauten Eigentumshaus. Nicola hingegen lebt mit 24-Stunden-Assistenz in einem Haus für Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung.

Alle vier sind mutig genug, um sich nicht mit dem status quo zufrieden zu geben. Sie wollen ihre Sexualität leben und begegnen sich aus diesem Grund bei einem Erotikworkshop für Menschen mit Behinderung. Ihre Erfahrungen, die sie dort machen und ihre Gedanken sind unterschiedlich, doch das Streben nach Selbstbestimmtheit und die Sehnsucht nach Liebe und Wärme verbindet alle miteinander. Es geht darum, überhaupt einmal von einem Gegenüber, außerhalb pflegerischer Assistenzhandlungen, berührt zu werden sowie den Raum und die Zeit zur Verfügung zu haben, dies mit allen Sinnen aufzunehmen und genießen zu dürfen und können.

Wegen der großen Nachfrage waren zwei Vorstellungen angesetzt. Im Anschluss hatte das Publikum nach jeder Vorführung die Möglichkeit, mit der Filmemacherin und zwei ProtagonistInnen über den Film zu diskutieren. Es entstanden großartige und interessante Gespräche und wir sind froh, dass wir diese Veranstaltung organisieren durften. Auch eine Performance der Sexualbegleiterin Deva Bhusha Glöckner während des Workshops lockerte mit ihrer Natürlichkeit das Thema Sexualität auf.

Mit 45 Minuten ist die Dokumentation weder zu kurz noch zu lange. Mein persönlicher herzlicher Dank gebührt der Filmemacherin Susanna Wüstneck für diesen Film und für ihr Kommen sowie Stefan Kruschke und der Sexualbegleiterin Deva Bhusha Glöckner für die einfühlsamen und vor allem unverblümt offenen Gesprächsbeiträge in der anschließenden Podiumsdiskussion. Leider war nach der zweiten, auf Grund der großen Nachfrage, zusätzlich angesetzten Filmvorführung fast zu wenig Zeit dafür.
Beide Vorführungen waren zur Hälfte von Rollstuhl fahrenden Personen unterschiedlicher Couleur besucht. Die andere Hälfte bestand zu einem kleinen Teil aus begleitenden Assistenzpersonen und der Rest aus sonstigen Interessierten. Mehr möchte ich nicht über diesen Film verraten, denn ich finde, man muss ihn sich einfach selbst anschauen. Man kann ihn über Susanna Wüstneck und www.lalieproduktion.de sowie sicher über VbA-Selbstbestimmt Leben e.V. beziehen. Oder: einfach Augen auf und schauen, wo er gezeigt wird!

Richard J. Schaefer