Auf den ersten Blick erscheint Michel Houellebecqs "Unterwerfung" als utopischer Roman, utopisch weniger, weil in der Zukunft spielend, als weil er mit den Vorstellungen einer gesellschaftlichen Realität spielt, die wir uns so nicht denken können. Die Handlung ist im Jahr 2030 angesiedelt, also in einer sehr nahen Zukunft, das auftretende Personal schließt heute handelnde Personen des öffentlichen Lebens ein, Marine le Pen, Manuel Valls; Merkel werden erwähnt. Der Roman ist so nah an der Gegenwart, dass die Ereignisse darin auch jetzt schon möglich sein könnten. Social fiction, nicht science fiction.


Die Handlung: In Frankreich stehen die Präsidentschaftswahlen an. Um eine Mehrheit des Front National zu verhindern, fordern die bürgerlichen Parteien, Sozialisten und UMP, zur Wahl des Kandidaten der Muslimbruderschaft auf, eines sehr gemäßigt islamistischen Politikers. Es kommt zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, Salafisten gegen Idenditäre, eine streng nationalistische, rassistische Bewegung (PEGIDA kommt einem in den Sinn). Der Bürgerkrieg wird niedergeschlagen, die Wahl findet statt, der Kandidat der Moslembrüder gewinnt. In Frankreich wird die Scharia eingeführt, Frauen müssen sich in der Öffentlichkeit verhüllen, werden entlassen und an den Herd geschickt, Arbeitslosigkeit und Jugendgewalt gehen zurück. Miniröcke und enge Jeans verschwinden aus dem Straßenbild, Restaurants werden Halal, Juden emigrieren nach Israel, auch die Exfreundin des Ich-Erzählers, von dem das Buch handelt.

Der Protagonist mit dem bezeichnenden Namen François ist Universitätsprofessor für französische Literatur, Schwerpunkt 19. Jahrhundert, Spezialgebiet J.K. Huysmans, ein Autor, der sich vom Naturalisten in der Art Zolas über den Symbolismus und Dekadenzliteratur à la Rimbaud zum bekennenden Katholiken gewandelt hat. Gewissermaßen ein Alter Ego des Erzählers, der aus der Leere seines Lebens zu entfliehen sucht. François ' unerfülltes Leben: Alkohol, Pornos, Prostituierte, stets scheiternde Liaisons mit Studentinnen können ihm keinen Sinn geben. Die Personenbeschreibung im als Motto dem Buch vorangestellten Huysmans-Zitat beschreibt auch François: Im Grunde "ist mein Herz durch das lockere Leben verhärtet und vertrocknet, ich bin zu nichts nutze."

Sie beschreibt auch Frankreich.

François erhält seine Kündigung bei großzügigen Ruhebezügen. Bliebe er, würde sein Gehalt erheblich steigen, dank Alimentierung der Bildung durch die Scheichs. Allerdings müsste er dann zum Islam übertreten. Dafür versucht ihn der Präsident der Universität zu gewinnen, mit philosophischen, an die Fürsprecher des "intelligent design" erinnernden und praktischen Argumenten, darunter die Möglichkeit, mehrere Frauen zu haben. François wird Moslem.

Das Buch endet mit den Sätzen: "... es wäre die Chance auf ein zweites Leben, das nicht besonders viel mit dem vorherigen gemein haben würde. Ich hätte nichts zu bereuen."

Die Ideen und Handlungen einer Romanfigur sind nicht die Ansichten ihres Schöpfers, nur eine Möglichkeit, diese darzustellen: zustimmend, kritisch oder ironisch. Dass Houellebecq den Islam in Frankreich einführen möchte, ist zu bezweifeln. Das Buch ist Satire, nicht Utopie. Es schildert ziemlich lebendig die gegenwärtigen Zustände und regt an, darüber nachzudenken. Der Islam erscheint gegenüber den Werten der westlichen Demokratie, den Widersprüchen der christlichen Lehre und der Laschheit des ausgelaugten Humanismus (zu dem gut nietzscheanisch auch der Kommunismus gezählt wird) als eine einfache, kräftige Sache.

Das scharfzüngige Buch liest sich vergnüglich und spannend. In seiner um die Schwerpunkte Ficken - Fressen/Saufen - Philosophieren kreisenden Thematik ist es sehr französisch. Dass der Held, der den Alkohol in jeder Form liebt, nichts zu bereuen hätte, ist fraglich.
Das Buch heißt "Unterwerfung". "Islam" heißt dasselbe. Houellebecq ist offensichtlich nicht dafür.

Bleibt die Frage nach der Alternative. Ein sinnentleerter trauriger Hedonismus kann es ebenso wenig sein wie das dumpfe PEGIDA--Abendlandgeheul.
Denken wir darüber nach!


Jürgen Walla