Udo Reiter hatte mit 23 einen Unfall. Resultat: Querschnittlähmung, so dass er seither im Rollstuhl sitzt, aber den Oberkörper frei bewegen kann. Reiter ist ein im öffentlichen Leben besonders erfolgreicher Rollstuhlfahrer: 5 Jahre lang Hörfunkdirektor beim Bayerischen Rundfunk. Nach der Wende hat er den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) aufgebaut und war viele Jahre Intendant dieser Anstalt. Jetzt ist er in Pension.

Sicherlich muss man sich gut anpassen, rücksichtslos taktieren und geschickt Fäden ziehen, wenn man eine so exponierte, vielbegehrte Position bekleidet. Aber wenn Udo Reiter von einer Sache überzeugt war, dann hat er ohne Rücksicht auf Gremien und Parteigrößen gehandelt. Ich habe das miterlebt, denn ich habe – als ich als Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk angefangen habe – wie er in der Abteilung KULTUR gearbeitet. Auch als Hörfunkdirektor habe ich ihn erlebt und geschätzt. Er war klug, meist an der Sache interessiert, durchsetzungsstark und furchtlos. Und auch mit uns, dem CBF, hatte er übrigens eine kurze Beziehung: Er hat nämlich einmal das barrierefrei ausgebaute Wohnmobil gemietet, das damals zu unseren Angeboten für Abenteuer liebende Rollstuhlfahrer gehörte.
Was nun die Problematik des Sterbens angeht, so hat Udo Reiter sich immer für das Thema interessiert. Bereits beim Bayerischen Rundfunk hat er eine große Sendung dazu gemacht. Später hat er – gegen den Widerstand von Gremien und Kollegen - eine ARD-weite Themenwoche zum selben Thema angeregt. Viele wollten diese Problematik lieber totschweigen – es würde die Jungen vergraulen, und überhaupt!
Als er vor ein paar Jahren seine Autobiografie veröffentlicht hat, hat er noch einmal ganz unverblümt zum selbstbestimmten Sterben Stellung bezogen: „"Woher nehmen Politiker, Kleriker und Medizinfunktionäre das Recht, über meinen Tod zu bestimmen?, fragt er und entscheidet ganz klar „Mein Tod gehört mir“. Niemand anderer hat mir da dreinzureden und ungefragt mitzuwirken. Wenn man dem Ideal eines selbstbestimmten Lebens folgt, dann gehört ein selbstbestimmter Tod notwendigerweise dazu. Auch dass es bei der Sterbehilfe zum Missbrauch kommen kann, ändert nichts daran. Selbst wenn einer aus einer Depression heraus handelt, „dann ist das meine Depression“, die ich mir von keinem zwangsweise wegtherapieren lassen muss. Dass Sterbehilfe, zum Beispiel in der Schweiz, auch was kostet, findet er in Ordnung, denn jede andere ärztliche Dienstleistung kostet auch etwas, und gerade in den Endzügen des menschlichen Lebens häufig sogar sehr viel. Nur eines möchte er nicht: heimlich, auf einem Parkplatz verborgen, eine rasche Spritze bekommen oder sich selber ein Plastiktüte über den Kopf ziehen und qualvoll ersticken. Er möchte daheim, an dem Platz, an dem er glücklich gelebt hat, einen wohlschmeckenden Cocktail trinken und danach rasch friedlich einschlafen.
Und dann schreibt er: „Ich habe trotz Rollstuhl ein schönes und selbstbestimmtes Leben geführt. Ich möchte nicht als Pflegefall enden, der von anderen gewaschen, frisiert und abgeputzt wird.“ Nun, dieses assistierte Leben, das in Deutschland so gerne mit der entmenschlichenden Amtsbezeichnung „Pflegefall“ belegt wird, leben viel andere Behinderte durchaus gern und sie halten dieses Leben ebenfalls für eine selbstbestimmte Existenz. Aber – wie jeder Mensch hat auch Udo Reiter das Recht, den Wert und die Grenzen der Erträglichkeit seines Lebens selber festzulegen. Und wenn ein assistiertes Leben für ihn nicht mehr lebenswert ist, dann muss es ebenfalls seine Entscheidung sein, es zu beenden.
Ingrid Leitner