Behinderte – Nein danke?
Wie die Zugspitzbahn behinderten Menschen mit Assistenzbedarf eine Teilhabe erschwert

Bei manchen Artikeln wünscht man sich, dass man sie nie schreiben muss. Zu bitter ist der Nachgeschmack, der nach Abfassung zurückbleibt, zu negativ die Energie, die bei der Beschäftigung mit einem solchen Thema den Geist erfasst. Und ein notorischer Optimist wie ich möchte eigentlich immer an das Gute im Menschen, in der Gesellschaft glauben und ist daher zunächst versucht, Missstände für einen Albtraum, ein Hirngespinst zu halten, das nur in der Phantasie existiert. Aber die Welt ist leider die, die sie ist und nicht die, die wir uns wünschen oder erträumen und so kann ich Ihnen die folgende Geschichte nicht ersparen. Aber ich muss sie von Anfang an erzählen:


Eine Freundin von mir hat Mitte Juni Geburtstag und auf der Suche nach dem passenden Geschenk bin ich auf die Idee gekommen, ihr einen Ausflug auf die Zugspitze zu schenken. Nun ist allgemein bekannt, dass eine Fahrt mit der Zugspitzbahn nicht zu Discount-Preisen zu haben ist (Berg- und Talfahrt kosten regulär 51,00 €, für zwei Personen also 102,00 €) – doch zum einen sollte das Geburtstagsgeschenk etwas Besonderes sein, zum anderen bin ich aufgrund einer neurologischen Erkrankung seit einigen Jahren unter anderem gehbehindert und habe deshalb einen Schwerbehindertenausweis mit GdB 100 und Merkzeichen B. Nachdem die Zugspitzbahn auf ihrer Homepage aber unter der Überschrift „Barrierefrei auf den Berg – Wo Ihr Handicap kein Handicap ist“ für Inhaber eines Schwerbehindertenausweises mit einem GdB ab 60 oder Merkzeichen G sowie die eingetragene Begleitpersonen eine Ermäßigung vorsieht, war ich zuversichtlich, denn – so dachte ich – die Ermäßigung für mich und meine Begleitperson würde einen Gesamtbetrag ergeben, der für mich tragbar und dessen andere Hälfte ein schönes Geburtstagsgeschenk sein würde. Da auf der Homepage der Zugspitzbahn aber nur generell von Ermäßigung gesprochen worden war, die Höhe derselben aber nicht angegeben war und auch nicht aus der allgemeinen Preisübersicht entnommen werden konnte, habe ich über die Kontaktseite der Zugspitzbahn angefragt, auf welche Gesamtkosten ich mit meiner Begleitperson käme. Die Antwort kam prompt:


Sehr geehrter Herr Vogel,
vielen Dank für Ihre Nachricht und das damit verbundene Interesse an unseren Bergbahnen. Inhaber eines Schwerbehindertenausweises (60% oder mehr) und die eingetragene Begleitperson erhalten gegen Vorlage ihrer Ausweise ermäßigte Preise an all unseren Bergbahnen.
Gerne teilen wir Ihnen die Preise für die Sommersaison 2014 mit. Inhaber eines Schwerbehindertenausweises und die eingetragene Begleitperson zahlen für die Zugspitz-Rundreise 42,00 Euro pro Person.
Wir wünschen Ihnen einen schönen Tag auf der Zugspitze.
 Für Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.
 Mit freundlichen Grüßen,

Diese Antwort war ebenso unerwartet wie ärgerlich: Ganz unabhängig von der Frage des Geburtstagsgeschenks bedeutet sie, dass behinderte Menschen mit Assistenzbedarf für sich und ihre Begleitperson je 42,00 € bezahlen müssen, insgesamt also 84,00 €. Dies mag immer noch 18,00 € weniger sein als zwei gesunde Personen für Berg- und Talfahrt bezahlen, doch besteht hier ein entscheidender Unterschied: Als gesunde Person kann ich auch alleine fahren und so die Kosten reduzieren und wenn ich zu zweit fahre, werde ich mir die Kosten mit der zweiten Person teilen. Als assistenzbedürftige Person habe ich diese Wahlfreiheit nicht, denn alleine bewältige ich die Fahrt nicht, ohne um meine körperliche Unversehrtheit fürchten zu müssen (wenn ich die Fahrt überhaupt schaffe) und Assistenzpersonen werden in aller Regel für die Assistenz bezahlt oder übernehmen diese aus Gefälligkeit, tragen aber kaum die auf sie entfallenden Eintrittsgelder oder Beförderungsentgelte. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der assistenzbedürftige, behinderte Mensch sowohl für sich als auch für seine Assistenz bezahlen muss. Im Beispiel der Zugspitzbahn sind das also 84,00 €, im Vergleich zum Fahrpreis von 51,00 € für eine gesunde Person, also ein Mehraufwand von 33,00 €. Ausweislich der vom Sozialreferat der Landeshauptstadt München herausgegebenen Studie zur Arbeits- und Lebenssituation von Menschen mit Behinderung in der Landeshauptstadt München gehören 76,9 % der Haushalte von Menschen mit Schwerbehinderung zu den armen Haushalten oder denjenigen der unteren Mitte (S. 35 des Kurzberichts zur Studie 2013). Gleichzeitig wird festgestellt, dass „für arme Haushalte … fehlende finanzielle Ressourcen das zentrale Teilhabehemmnis im Freizeitbereich“ (S.25 aaO) sind. Die Lage ist auf ganz Bayern bezogen kaum wesentlich anders. Diese schon per se äußerst schwierige Situation wird aber noch entscheidend verschärft, wenn die behinderte Person nicht nur für die für sie selbst anfallenden Kosten der Freizeitaktivität aufkommen muss, sondern auch für die ihrer Assistenz, ohne die sie die Freizeitaktivität gar nicht unternehmen könnte. Vermeintlich generös gewährte Ermäßigungen für Behinderten und Assistenzperson ändern nichts daran, dass der Behinderte im Ergebnis mehr bezahlt als der Gesunde. Damit wird ihm aber die Teilhabe de facto verwehrt. In einer Gesellschaft, in der Behinderte ausgeschlossen und auf ein Verbleiben in ihrer Wohnung verwiesen werden, mag dies angehen, in Deutschland gilt jedoch bereits seit 2009 die Behindertenrechtskonvention, wonach „sich die Vertragsstaaten nach den Prinzipien Selbstbestimmung, Teilhabe und Inklusion dazu verpflichten, gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, die niemanden ausschließen …“ (so die damalige Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Frau Karin Evers-Meyer im Vorwort zur amtlichen deutschen Übersetzung). Nachdem ich diese Worte nicht bloß als Sonntagsreden verstanden habe und verstehen möchte, habe ich mich entschlossen, ein zweites Schreiben an die Zugspitzbahn zu verfassen.


Sehr geehrte Frau …,

Etwas erschrocken war ich jedoch über Ihre Tarifauskunft, die ich bedauerlicherweise weder über meinen heimischen Computer noch über mein Smartphone selbst aufrufen konnte, sondern erst bei Ihnen erfragen musste. Selbstverständlich liegt es in der unternehmerischen Entscheidung Ihres Hauses, ob und gegebenenfalls wie viel Ermäßigung Sie einem Fahrgast mit Behinderung gewähren. Die Einräumung eines Sonderpreises von 42 € für einen Inhaber eines Schwerbehindertenausweises mit mindestens 60 % ist aus meiner Sicht daher nicht zu beanstanden.
Weniger Verständnis kann ich jedoch dafür empfinden, dass Sie von Begleitpersonen (wenn im Ausweis das Merkzeichen B eingetragen ist) ebenfalls diesen reduzierten Preis von 42 € verlangen. Wenn man bedenkt, dass Behinderte, die auf Begleitpersonen angewiesen sind, um eine solche Fahrt bewerkstelligen zu können, zunächst eine Begleitung finden müssen und dass sich nicht behinderte Personen im Regelfall nicht darum schlagen werden, um des ermäßigten Fahrpreises willen auf die Zugspitze zu fahren und dabei Behinderten zu assistieren, dass vielmehr im Gegenteil behinderte Menschen oft auch die Fahrtkosten ihrer Begleitung übernehmen müssen, um überhaupt begleitet zu werden, bedeutet die "großzügige" Ermäßigung auf 42 € pro Person in Wahrheit in der Praxis einen Gesamtpreis von 84 € für die assistenzbedürftige Person. Dies entspricht aber einem Mehrpreis von 33 € im Vergleich zu dem von einem nicht behinderten Vollzahler zu leistenden Preis und ist daher eine wirkliche Diskriminierung. Aus dem gesundheitlichen Handicap wird so auch ein finanzielles Handicap und die vielfach propagierte und in der Behindertenrechtskonvention auch vorgesehene Teilhabe behinderter Menschen zur Farce. Ich selbst, der ich aufgrund einer Gehbehinderung Gleichgewichtsprobleme habe und auf eine Begleitung daher angewiesen bin, werde auf einen Besuch der Zugspitze daher verzichten müssen. Das ist schade!

Mit dennoch freundlichen Grüßen,
Wolfgang Vogl


Darauf bekam ich folgende Antwort:


Sehr geehrter Herr Vogl,
 vielen Dank für Ihre Nachricht und die damit verbundene Rückmeldung zu unseren ermäßigten Tarifen für Menschen mit Schwerbehindertenausweis sowie deren eingetragener Begleitperson.
…Leider ist es uns grundsätzlich nicht möglich, Gäste unentgeltlich zu befördern. Der reguläre Sommertarif für die Zugspitze liegt bei 51,00 Euro pro Person in diesem Sommer. Der ermäßigte Tarif für Inhaber eines Schwerbehindertenausweises bei 42,00 Euro. Die Unterhaltung unserer Bergbahnen sowie die Bereitstellung der verschiedenen Angebote am Berg ist mit hohen Kosten verbunden, die wir leider zu einem gewissen Teil auch an unsere Besucher weitergeben müssen. Bitte haben Sie deshalb Verständnis, dass wir gezwungen sind für in Anspruch genommene Leistungen auch ein Nutzungsentgelt zu erheben. Eine andere Vorgehensweise würde wahrscheinlich ein Großteil unserer vollpreiszahlenden Gäste als „Diskriminierung“ ansehen.
 Wir danken Ihnen für Ihr Verständnis & senden herzliche Grüße aus Garmisch-Partenkirchen

Ich verzichte hier bewusst darauf, die Ausführungen inhaltlich zu kommentieren, zu groß wäre die Gefahr, den Tatbestand der Beleidigung zu verwirklichen. Nach der im Schreiben zum Ausdruck kommenden Logik müssten sich die Krankenkassen bei jedem einem behinderten Menschen gewährten Hilfsmittel überlegen, ob sich nicht behinderte Menschen dadurch diskriminiert fühlen. Dies ist nicht nur eine Pervertierung von Teilhabemöglichkeiten, sondern auch ein so krudes Verständnis von Inklusion, das im Ergebnis auf Exklusion hinausläuft. Die Zugspitzbahn mag einwenden, dass die Behindertenrechtskonvention nur für Staaten gilt und sie im Rahmen der geltenden Privatautonomie mit behinderten Menschen verfahren kann wie es ihr beliebt. Ganz so einfach sollte sie sich jedoch nicht machen. Gemäß Art 30 Absatz 5 lit c und e der Behindertenkonvention treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen „mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilnahme an Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten zu ermöglichen“ ...  „um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu … Erholungs- und Tourismusstätten haben“ sowie „zu Dienstleistungen der Organisatoren von Erholungs- Freizeit- und Sportaktivitäten“. Dies umfasst aus meiner Sicht auch den Abbau zusätzlicher Kosten für notwendige Assistenz durch entsprechende gesetzliche Vorgaben.
Das von der Zugspitzbahn erhoffte Verständnis für die von ihr vertretene Position  vermag ich jedenfalls nicht aufzubringen.


Wolfgang Vogl