Ausstellungstipp: Die Mumie aus der Inkazeit in der Archäologischen Staatssammlung Mittelpunkt (und alleiniges Exponat) dieser Ausstellung in der Archäologischen Staatssammlung (Lerchenfeldstraße 2, zu erreichen mit der Straßenbahnlinie 18 oder dem Bus 100, jeweils Haltestelle Haus der Kunst/Bayerisches Nationalmuseum) ist, wie der Name bereits sagt, eine Mumie, aber damit ist eine Geschichte verbunden, wie sie so wohl nur in Deutschland passieren konnte.


Ursprünglich befand sich die jetzt ausgestellte Mumie in der Alten Anatomie, nach mündlicher Überlieferung handelte es sich dabei um eine Moorleiche aus dem Dachauer Moos. Die Alte Akademie befand sich in der Singstraße, heute Schillerstraße, und bei den heftigen Luftangriffen des Zweiten Weltkriegs wurde auch sie zerstört. Als die Feuerwehr den Bombenschutt beseitigte, entdeckte sie auch die Mumie, hielt sie aber irrtümlich für ein Bombenopfer und wollte sie dementsprechend beerdigen, wenn nicht der hiervon verständigte Präparator herbeigeeilt wäre und dies verhindert hätte. Die solchermaßen gerettete Mumie wurde notdürftig mit Wasser abgespritzt (Spuren des Bombenangriffs sind aber immer noch feststellbar) und wieder aufbewahrt. In der Folgezeit wurde die Mumie wegen ihres eingeschlagenen Gesichts und der vermeintlichen Ortsbezeichnung – aus dem Dachauer Moos – auch mit dem Konzentrationslager Dachau in Verbindung gebracht, was aber schon deshalb abwegig ist, weil die Mumie in der Alten Anatomie bereits seit 1904 dokumentiert war. Zwischenzeitliche Untersuchungen hatten auch ergeben, dass es sich um eine weibliche Person aus dem 15./16. Jahrhundert handeln muss. Seit den Siebziger Jahren wurde die Mumie dann unter der Bezeichnung Moorleiche aus dem Dachauer Moos in der Archäologischen Staatssammlung ausgestellt und war insbesondere unter Schülern eine der Attraktionen des Museums. Dass die Mumie einen äußerst üppigen Haarwuchs aufwies – bei Moorleichen zersetzen sich Haare üblicherweise aber – störte ebenso wenig wie die im 15./16. Jahrhundert in Europa so nicht bekannte Zopffrisur.
Erst als die Vitrine 2007 geöffnet wurde, in der sich die „Moorleiche“ befand, fiel eine weitere Ungereimtheit auf: Die Mumie hatte angewinkelte Beine!
Die daraufhin vorgenommenen umfangreichen Untersuchungen an der vermeintlichen Moorleiche durch das Unfallkrankenhaus Murnau, dem Bayerischen Landeskriminalamt und weitere Experten ergab sodann zweifelsfrei, dass es sich um eine weibliche Person handelt, die mit Anfang zwanzig und gewaltsam durch massive Schläge auf den Schädel ums Leben kam, aus dem nördlichen Chile oder südlichen Peru stammt und deren Zöpfe von Bändern aus Alpakafäden zusammengehalten werden.
Nicht weniger spannend und bis heute ungeklärt ist auch der Weg der Mumie von Südamerika nach München. Nach einer Theorie stammt sie von Prinzessin Therese von Bayern. Die hatte von einer Südamerikareise zur Jahrhundertwende zwei Mumien mitgebracht und eine dem Völkerkundemuseum überlassen. Die Spuren der zweiten Mumie verlieren sich hingegen. Nach einer weiteren Theorie stammt sie von Gabriel von Max (dem 2011 eine sehr sehenswerte Ausstellung im Kunstbau des Lenbachhauses gewidmet war, die wir vom CBF gemeinsam besucht haben), der eine große wissenschaftliche Sammlung von ca. 60.000 Objekten besaß (unter anderem eine der größten Schädelsammlungen der Zeit und auch Mumien).
Wie dem auch sei, ein Besuch der Ausstellung lohnt sich schon deshalb, weil die Mumie nach Ende der Ausstellung (31. August) ins Depot wandern und im Museum nicht mehr zu sehen sein wird.
Die Ausstellung ist übrigens ebenerdig zugänglich. Ein erster Raum widmet sich den Bedingungen, unter denen Mumien entstehen, und der Geschichte der Mumie seit ihrer Aufbewahrung in der Alten Akademie. Im zentralen Ausstellungsraum ist dann die Mumie zu sehen, ergänzt durch Informationen zum vermeintlichen Fundort in Südamerika, zu den Vorbesitzern und zu Mumien in der Inkazeit im Allgemeinen. Der dritte Raum präsentiert schließlich die Forschungsergebnisse, die durch die umfangreichen Untersuchungen seit 2007 erlangt wurden.
Wolfgang Vogl