Pränataldiagnostik kann für den Ablauf einer Schwangerschaft von weitreichender Bedeutung sein.

Drei Fälle aus dem Freundes- bzw. Verwandtenkreis spiegeln die Realität in unserer Gesellschaft wider: Im ersten Fall stellte sich bei Untersuchungen während der Schwangerschaft heraus, dass das Kind mit dem Down-Syndrom geboren werden würde. Das Kind wurde abgetrieben, die Mutter ließ sich sterilisieren.

Im zweiten Fall ergaben Untersuchungen in der Spätphase der Schwangerschaft, dass das Kind mit einem schwerwiegenden, chirurgische Eingriffe erforderlich machenden genetischen Defekt auf die Welt kommen würde. Die Eltern entschieden sich für eine Fortführung der Schwangerschaft, gleich nach der Geburt konnten die ersten Maßnahmen eingeleitet werden. Im dritten Fall lehnte die Mutter schließlich trotz altersbedingten Vorliegens einer Risikoschwangerschaft (sie war über 40) Untersuchungen am Fötus ab und brachte dann ein gesundes Kind zur Welt.

Wie aus dem Namen bereits deutlich wird, handelt es sich bei der Pränataldiagnostik (PND) um vorgeburtliche Untersuchungen an der Mutter oder am Fötus während der Schwangerschaft. Nicht zu verwechseln ist die Pränataldiagnostik daher mit der in letzter Zeit häufig diskutierten und auch in einem eigenen Gesetz geregelten Präimplantationsdiagnostik (PID). Diese betrifft nämlich Untersuchungen an im Reagenzglas erzeugten Embryos mit dem Ziel, nur ein gesundes Embryo in den Mutterleib einzupflanzen.

Die PND unterscheidet wiederum zwischen nicht-invasiven und invasiven Methoden, das heißt nur außerhalb oder aber innerhalb des Körpers vorgenommenen Methoden. In die erste Gruppe fallen beispielsweise Ultraschalluntersuchungen oder die Entnahme von Blut bei der Mutter. Ein typischer Fall einer invasiven Untersuchungsmethode ist hingegen die Entnahme von Fruchtwasser und die dann erfolgende Untersuchung darin enthaltener fetaler Zellen, also Zellen des Embryos.

Interessanterweise wurden die einzelnen pränatalen Untersuchungen erst ab Ende der Fünfziger Jahre entwickelt. Aussagen über die Gesundheit des Embryos waren davor also so gut wie nicht möglich. Heute sind sehr viele diagnostische Maßnahmen aber derart verfeinert, dass sie sehr genaue Erkenntnisse über den Gesundheitszustand des Embryos zu liefern imstande sind. Es braucht keine besondere Fantasie, sich auszumalen, dass der größte Arzneimittelskandal in der Geschichte der Bundesrepublik, der Contergan-Skandal, anders abgelaufen wäre, wenn Anfang der Sechziger Jahren die diagnostischen Möglichkeiten von heute bestanden hätten.

Welche pränatalen Untersuchungen kann ich vornehmen lassen?

1985 hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die so genannten Mutterschaftsrichtlinien erlassen. Dabei handelt es sich um verbindliche Regeln über den Umfang der ärztlichen Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Geburt des Kindes. Das insgesamt 41 Seiten umfassende Regelwerk reicht von der klassischen Schwangerenvorsorge im Rahmen von Tast-, Blut- und Urinuntersuchungen bis zu Untersuchungen des Fötus (Kontrolle der kindlichen Herztöne, Feststellung der Kindslage oder Ultraschalluntersuchungen). Nach der Systematik dieser Richtlinien ist jedoch kein Zwang zur Durchführung solcher pränataler Untersuchungsmethoden vorgesehen – beispielsweise kann man sich gegen Ultraschalluntersuchungen entscheiden oder eine Information durch die Ärzte auf die altersgemäße Entwicklung des Embryos beschränken. In der Praxis wird aber die Ablehnung solcher Maßnahmen eher die Ausnahme darstellen, zumal nach psychologischen Erkenntnissen eine starke emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind erst nach Vorliegen aussagekräftiger Untersuchungsergebnisse entsteht.

Kann ich darüber hinaus Pränataldiagnostik durchführen lassen?

Im Zeitalter zunehmender Gewinnorientierung verwundert es wenig, dass man durch wenige Klicks im Internet auf Listen so genannter individueller Gesundheitsleistungen (IGeL) der PND stößt, die Fachärzte gegen Bezahlung zu leisten bereit sind. Wer Wert darauf legt, kann also über die in den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehenen Untersuchungen hinaus auch ohne konkrete Verdachtsmomente weitere diagnostische Maßnahmen durchführen lassen.

Nutzen der PND

In vielen Fällen dienen pränatale Untersuchungen einer Geburt gesunder Kinder: Eine positiv auf Schwangerschaftsdiabetes getestete Frau kann durch z.B. Umstellung ihrer Ernährung die Risiken bei der Geburt entscheidend minimieren, entsprechende medikamentöse Maßnahmen ermöglichen die Geburt eines HIV-negativen Kindes, obwohl der HIV-Test der Mutter positiv war. Stellt sich bei einer serologischen Untersuchung eine Rhesus-Inkompatibilität zwischen Mutter und Kind heraus, können geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Bei anderen Untersuchungen ist eine Bewertung dagegen problematischer: Zweifelsohne stellt eine Ultraschalluntersuchung einen enormen Informationsgewinn für die werdenden Eltern dar, stärkt eine erste Beziehung von ihnen zum heranwachsenden Kind und dient einer auch psychischen Vorbereitung der Eltern, falls das erwartete Kind behindert ist (siehe hierzu auch den Artikel von Carola Walla zu den Aussagen eines Neonatogen). Gleichzeitig stellt eine im Rahmen solcher pränatalen Untersuchungen auf eine Behinderung des Kindes hindeutende Diagnose die Eltern vor schwierige Entscheidungen: Soll eine Abtreibung vorgenommen werden? Kann ich mir ein Leben mit einem behinderten Kind vorstellen? Die Statistik zeigt, dass ein Großteil diese Frage offenbar mit „nein“ beantwortet: so werden in Deutschland in neun von zehn Fällen Föten abgetrieben, bei denen das Down-Syndrom festgestellt wurde. De facto wird daher durch die Pränataldiagnostik ein enormer gesellschaftlicher Druck ausgeübt, nur gesunde Kinder zur Welt zu bringen. Die an Eltern behinderter Kinder gerichtete Frage, warum man keine pränatale Diagnostik in Anspruch genommen habe, impliziert den Vorwurf, man hätte bei entsprechendem Befund ja abtreiben können / müssen. Das läuft aber auf nichts anderes hinaus als die Selektion behinderten Lebens. Um nichts anderes muss es bei einer ehrlichen Diskussion um die Pränataldiagnostik gehen.

Wolfgang Vogl