Die Arcaden sind barrierefrei. Nach langer Suche in den Einkaufsparadiesstraßen zuletzt sogar Toiletten gefunden. Mit je einem Behinderten-WC. Eine in der untersten Straße des ersten, die andere in der obersten des zweiten Paradiesteils.

Bewacht von teiluniformierter Kraft. Welcher die Benutzer anschließend Kleingeld in den Teller werfen. Bequemer als der fußläufige Paradiespilger hat es hier der satte 37000 qm Einkaufsparadiesfläche durchrollende Rollimensch. Den Samstag meidet er besser. Die Paradiesstraßen wechselt er über Aufzüge.

Das nicht so Gute: Der Pasinger Bahnhof, Tor zum Einkaufsparadies, lässt von Barrierefreiheit wenig erkennen. Annähernd 40 Jahre nach ersten Anträgen und Ermahnungen baut die DB jetzt allerdings Tag und Nacht daran. Was eines Tages zu einem Ergebnis führen könnte. Dann gibt es die innerhalb eines Bruchteils dieser Zeit erbauten Pasing Arcaden womöglich nicht mehr. Im neuzeitlichen Pasing erscheinen und verschwinden die Einkaufsparadiese schneller und immer schneller. Der neugierige, einkaufserlebnisweltorientierte, modernem Mainstream hinterherrollende Rollimensch verzichtet also auf Ankunft mit der S-Bahn. Ferner sei ihm abgeraten, sich mit dem Pkw zum Bahnhofsplatz vor den Eingang der Einkaufserlebniswelt kutschieren zu lassen. Das seiner Umgestaltung ins Neuzeitliche unterworfene Kern-Pasing ist südlich des Bahnhofs, einschließlich eines zentralen Stücks Landsberger Straße, eine Baustelle. Politiker und Unbekannte verwandeln das behäbige Pasing in ein „florierendes Ortszentrum“.

Für Rollimenschen mit Pkw empfiehlt sich die mit einer Ampel gesicherte Einfahrt in die Tiefgarage des Paradieses von hinten, über die Josef-Felder-Straße, eine kürzlich geschaffene neuzeitliche Autopiste zur Umgehung des neuzeitlichen Pasing. Einseitig bepflanzt mit Jungbäumen der schnell wachsenden Art. Die Aufzüge im Tiefgaragenparadies verkehren von 9.30 bis 20.00 Uhr zwischen den Paradiesstraßen. Wer auf dem Parkstreifen außerhalb einen Billigplatz findet, rollt entlang der kunststoffweißen, rautengemusterten Arcaden-Rückwand zum Bahnhofsplatz vor den Eingang in die Einkaufserlebniswelt. Geöffnet von 7.45 bis 20.30 Uhr. Die Geschäfte im Innern freilich haben ihre individuellen Öffnungszeiten. Die Schwingtür in die Einkaufserlebniswelt lässt sich der Rollimensch von Hand anderer Erlebnisweltbesucher öffnen. Fortan begünstigen glatte, schwellenlose Strecken seinen Ausflug.

Mir Grantlhuberin kommen die Pasing Arcaden vor wie ein weiterer gigantischer Beitrag zur weiteren Zubetonierung der Stadt mit weiteren Betonsärgen. Hier ein extralanger, vom Bahnhof bis Offenbachstraße, und ein monströser quadratischer, hinüber zur Landsberger Straße. Die Architekten sehen im Grundriss ihres Kunstwerks so was wie ein Kreuzfahrtschiff – einen Luxusliner vermutlich, wie droben in Hamburg an der Elbe. Hat doch auch Pasing sein Wasser: die Würm. Gehabt zumindest. Im Zuge der Umgestaltung Pasings ins Neuzeitliche ist von solch grünem Würmchen von Wässerchen praktisch nichts mehr zu sehen. Alles läuft darauf hinaus, dass wir stattdessen hier ozeanisches Einkaufsgefühl, wogende Einkaufsfreude haben sollen.

Die beiden spiegelglatt kunststoffummantelten, rautenfenstergeschmückten schneeweißen Betonsärge besagten Luxusliners sind durch einen Betonplatz, einen „Paseo“, miteinander verbunden. Darunter vermute ich das Tiefgaragenparadies. Den Platz überbrückt der zwischen Betonbauten übliche Gebäude-Glas-Kunststoff-Stahl- Durchgang, den die Architekten – wie alles hier – für besonders unüblich halten. Den toten Platz belebt ein begehbarer Springbrunnen. Eine Handvoll Jungbäumchen soll ebenfalls hier überleben. Unter ihnen der Ginkgo- Baum, mit welchem der Unternehmensgründer, Erbauer, Inhaber und Betreiber der Pasing Arcaden geehrt worden ist. An einem Laternenpfahl hoch oben (aus echtem Papier) die Hausordnung. Der Platz überrascht des Weiteren mit einer Großgruppe seltsam uriger Holztische und Holzsitze.

Was Fragen aufwirft nach der Herkunft solch lebendigen Materials und der Funktion solcher Holzsammlung. Kunst am Bau? Aber nein: Die neuartigen Biertische gehören zur Kunststoff-Innenarchitektur des zweiten Paradiesbauteils, dem „Foodcourt“. Hier füllen Einkaufsparadies- Besucher sich mit Marken-Fast Food von Marken-Fast Food-Herstellern ab. McDonald’s beispielsweise. Überhaupt gibt es um die Eingangsbereiche der Arcaden etliche bequem anrollbare Schnellcafés und Schnellrestaurants, verbunden mit ihren gebäudeinternen Schnellgastromüttern.

Wir haben es mit einer großzügigen Beton-Garten-Restauration zu tun. Jenseits des Paseos, verborgen hinter Paradies II, zwischen Landsberger- und Josef-Felder-Straße, eine weitere Baustelle. Hier endlich nun für unbezahlbaren Wohnraum aus Echtbeton. Und mit dem Flair eines Männer- oder Migrantenwohnheims. Deutlich großzügiger jene bereits bewohnten, noch unbezahlbareren Wohnungen auf dem Dach von Paradies I. Wir unten schauen hinauf zu 4600 qm zweistöckigem Dachwohnungsluxus. Luxus darf, ja soll heutzutage hässlich aussehen. Geschaffen ohnehin nicht für uns unten, sondern für weltgewandte Pasinger Neubürger mit Eltern in Steueroasen, Gas-, Ölförder- und Drogenstaaten. Nur, auf welchen Wegen gelangen die Neu-Pasinger hinauf in ihr Wohnreich? Durchs Tiefgaragenparadies? Oder über Hintereingänge an lauschiger Josef-Felder-Stadtautobahn? Über Geheimgänge im Einkaufsparadies? Oder verbirgt sich auf dem Dach ein schallgedämpfter Cessna- Landeplatz? Lassen wir unseren neusteinreichen Pasinger Neu-Mitbürgern ihre Geheimnisse!

Zurück ins Innere des Luxusliners, seine drei übereinanderliegenden kilometerlangen Einkaufserlebnisstraßen. Der Rollimensch rollt über glatte, schwellenlose Einkaufserlebnispisten durch luftarme, dafür ätzend riechende Schnellküchen und einkaufspilgerschweißgeschwängerte Düfte. Es erfreut ihn das Angebot von ca. 160 Läden. Er kurvt im Zickzack durch Scharen mobiltelefonierender Jungmütter mit waren- und sonstigen Tagesbedarf fassenden Kinderwägen. In welchen sich zumeist ein sich wütend die Lunge aus dem Hals schreiendes Baby zu Tode zu schreien versucht. Es handelt sich bei diesen telefonierenden oder surfenden Multitasking- Jungmüttern einheimischer und globaler Abstammung um unsere endlich nun gefestigte Generation von Konsumexpertinnen, die „Generation Hoffnung“ mit kleinem Finger leichthin vor sich her schiebend. Trotz unnachgiebiger Früherziehung der gestressten Säuglinge zu später gut funktionierenden Konsumidioten werden diese dereinst das Kaufen verweigern. Aus purem Trotz.

Anhaltender Platzregen hat mich in den Luxusliner flüchten lassen. Mich als Nicht-Rollifahrerin mit Rolliaugen umguckend, was an Paradiesgeschäften hier frei befahrbar ist oder sich freier Rollibeweglichkeit mit Kleiderständern, Aktionsangebotspodesten und Ähnlichem gekonnt entgegenstellt. Ehrenamtliches Umgucken für den CBF. Moderne jugendliche Rolligruppe vor dem ALDI gesichtet. Dort, wo Stofftiere, meist afrikanischer Art, Giraffen, Maulesel, Zebras, sogenannte „Inline Animals“, mit echten Kleinkindern auf dem Rücken die Rolltreppen umrunden (zehn Minuten zwei Euro). ALDI standhaft barriereunfrei. Enge bleibt Geschäftsmodell, egal, wie groß die Läden. Was alles an und in 160 Einkaufsparadiesläden beglückt, möge der moderne, mainstreamorientierte Rollimensch im Rahmen seines tagesstrukturierenden Umherrollens selbst erkunden. Das Erlebnisweltangebot stammt, wie im übrigen Europa, naturgemäß aus „Schwellenländern“, China, Indien, Pakistan, Bangladesch, Ägypten, Türkei. Laut ihrer Gründerin haben die Pasing Arcaden „Aufenthaltsqualität“. Kann ich unterstreichen. Bei Regenfällen vor allem. Und für Menschen mit Wohnungen ohne Aufenthaltsqualität. Das ist der Trick: Statt „Schöner Wohnen“ sollen wir „Schöner Bummeln“ durch gigantische Supermärkte und Shopping- Center. Geeignet als Spiel-, Lern- und Schreiplätze für die Kleinen, Freizeit- und Begegnungsstätten (ohne Sozialpädagogen) für nicht gut beheimatete Jugendliche, Mütterzentren für Jungmütter, Wärmestuben für Rentner. Für an heimatkundlichem Stadtausflug ins neuzeitliche Pasing interessierte Rollimenschen hier nun das notwendige heimatkundliche Gegenwartswissen: Die Pasing Arcaden gehören weder Pasing noch Pasingern, sondern der mfi (management für immobilien) AG in Essen. Mit ihrem Pasinger Luxusliner und 25 anderen Einkaufserlebniswelten in Deutschland (eine davon längst in Riem) versteht sich die mfi AG nicht nur als Münchner, sondern als Stadtentwicklerin und Stadtgestalterin schlechthin, als bundesrepublikverschönernde Planerin und Realisiererin von Shoppingcentern. Die Pasing Arcaden hat sie mit den Pasinger Bürgern abgestimmt. Auf Augenhöhe vermutlich. Nach dem Motto: „Wachsen oder Weichen!“ Geblieben ist den vertriebenen Pasinger Geschäftsleuten und deren alter Stammkundschaft nur die Schadenfreude, als kurz nach Eröffnung des ersten Arcaden-Teils moderne Pasinger Dauerregenfälle die untere Einkaufsparadiesstraße gleich zweimal überflutet haben. Alles in Pasing also im Fluss! Wo ein Traditionsgeschäft aufgibt, zieht ein Spielcasino ein. Oder ein Wettbüro. Oder ein 1-Euro-Shop. Oder ein Telefonshop. Die Essener mfi AG gehört zu 46 Prozent der als größter börsennotierter europäischer Immobilienkonzern Europas geltenden Unibail Rodamco AG, einem französischen Immobilienund Investmentunternehmen, welches durch Fusion der Unternehmen Unibail (Frankreich) und Rodamco Europe (Niederlande) an der Börse Amsterdam im AEX und in Paris im CAC 40 gelistet ist, und den Ausbau seiner Marktpräsenz in Deutschland „anstrebt“. Besitzt besagte Rodamco in Europa doch erst 74 Einkaufserlebniswelten. Und, in Finanzplayersprache: „Weitere 19 sind in der Pipeline.“ Mit der nahezu zur Hälfte aufgekauften Essener mfi AG gehört der Unibail-Rodamco somit indirekt auch der nun zu den Pasing Arcaden gehörende, von der mfi AG restaurierte, denkmalgeschützte historische Bürklein-Bahnhof. Jetzt ein ALEXBistro. (Enge als Geschäftsmodell, kein Behinderten - WC also). Global Player können nicht zugleich an alles denken. Der von außen hübsch anzusehende Exbahnhof wird als freizeitgastronomischer Systembetrieb von der ALEX-Kette betrieben, die mit ihren vormals 19 Bistros in der Bundesrepublik vom britischen Unternehmen Mitchells & Butlers Germany GmbH in Wiesbaden auf-gekauft wurde und von dort gesteuert wird. Mitchells & Butlers Germany GmbH steuert in der Bundesrepublik somit 43 bistroähnliche Einrichtungen, ihre britische Mutter, Sitz in Birmingham, ca. 1600 Restaurants und Pubs.

Soweit die heutige Heimatkunde- Stunde. Unser neuzeitliches Pasing – Spielball globaler Finanzplayer, im Koma seiner Neugestaltungsbaustellen liegend – feiert dennoch heuer ganzjährig sein 1250-jähriges Bestehen.

Barbara Hora