Der Film zeigt einen jungen Mann, der ohne Eiserne Lunge, also ohne künstliche Beatmung, nur 3 Stunden lang auskommen kann und der auf einer fahrbaren Liege durch sein Leben rollt.

Nicht nur Frauen, auch Männer finden ihn, sobald sie ihn kennengelernt haben, äußerst sympathisch, und auch der Zuschauer verliebt sich sofort in ihn. Denn er ist witzig, neugierig, aufrichtig, anrührend – und er ist einer der eher seltenen behinderten Menschen, die nicht persönlich beleidigt sind, weil ihre Umwelt sich ihnen gegenüber abweisend, blöd oder gleichgültig verhält. So sind die Menschen halt, denkt er wie beiläufig, und kümmert sich um das für ihn Wichtige. Zum Wichtigsten in seinem Leben gehört der Umgang mit seiner Sexualität. Er ist potent. Hat sogar öfter, als ihm lieb ist, eine Erektion, beispielsweise beim morgendlichen Waschen. Was ihm jedoch eher unangenehm ist, da es so unwillkürlich passiert. Er begegnet einer Sexualtherapeutin, die ihm Körpergefühl und den bewussten Umgang mit der Sexualität beibringen möchte. Und da er ein gläubiger Mensch und katholisch erzogen ist, berät er sich darüber mit einem Pfarrer. Dieser erweist sich anfangs noch als Produkt seines kirchlichen Werdeganges und fürchtet sich vor der „Unzucht“, lernt jedoch im Verlauf der Gespräche viel dazu. Er lernt, den Menschen wahrzunehmen und zu fühlen, er legt den dogmatischen Diener der Kirche ab und wird langsam, aber sicher ein liebevoller Experte in Sachen Menschlichkeit. Bemerkenswert an diesem Film ist nicht zuletzt die Sprache, die in Bezug auf Sexualität frei ist von verdruckster Scham, pornographischer Abwertung oder sexualprotziger Rammelfreude.

Dieser Film heißt im englischen Original „Sessions“, im Deutschen „Wenn Worte berühren“, was ein irreführender Titel ist, da der Film auf wunderschöne Weise zeigt, dass Worte tatsächlich berühren können. Er sei also allen sehr empfohlen, vor allem auch der katholischen Kirche in Bayern. Denn seit Mitte Januar läuft eine Diskussion über die wissenschaftliche Aufarbeitung von Missbrauch im kirchlichen Umfeld. Die Kirche verhält sich dabei wie ein Kondom, das allem übergestülpt wird, da sie offenbar verhüten möchte, dass bekannt wird, wie weitreichend die Auswirkungen des Missbrauchs wirklich waren und welche Vertuschungspolitik sie von Anfang an betrieben hat. Der Leiter der Studie, Prof. Dr. Christian Pfeiffer, beklagte wiederholt, dass die Kirche über Mitarbeiter, Art und Veröffentlichung der Studie bestimmen wollte. Der Vertreter der Kirche hingegen bemühte sich – wie er sagt – lediglich darum, die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten (nicht der vom Missbrauch Betroffenen!!!) zu schützen. Eine Narrenposse – wenn’s nicht so traurig wäre!

Aber in unserem hintergestrigen Bayern ist auch das Gegenteil zu bewundern: Eine Initiative der „Stiftung Attl“ in Wasserburg am Inn, die bereits im Jahr 2000 auf den Weg gebracht worden ist. Dabei geht es darum, dass in dieser Einrichtung für behinderte Menschen den Bewohnern geholfen wird, ihre Sexualität als einen genuinen Bestandteil des menschlichen Lebens tatsächlich auch zu leben! Das Motto des Wohnbereiches lautet nicht umsonst: Jeder Mensch ist ein Individuum und braucht sein individuelles Umfeld. Und das nehmen die Mitarbeiter ernst! In der nächsten Ausgabe mehr davon

Ingrid Leitner