Bei meiner ersten Reise mit dem Richard Wagner Verband war ich etwas schüchtern, ich kannte ja noch keinen. Da holte mich eine ältere Dame an ihren Tisch. Da wir uns sehr gut verstanden, haben wir uns seither oft getroffen und sind sehr viel gemeinsam in Konzerte und Vorträge gegangen. Auch bei weiteren Reisen waren wir viel zusammen, und da lernte ich auch ihre Tochter kennen, die als Journalistin in Berlin lebte.

Da sie ja wie fast alle, die älter werden, immer öfter Hilfe brauchte, entschloss sie sich vor Jahren, in ihre Heimat zu ziehen, wo ihre jüngeren Geschwister mit ihren Familien lebten. Das war sehr schade, denn dadurch konnten wir uns nur noch per Telefon austauschen. Inzwischen war ich ja auch nicht mehr so mobil, um sie im Weserbergland zu besuchen. Eines Tages rief mich ihre Tochter an und sagte, dass ihre Mutter 80 werde. Nach langen Überlegungen, was ihrer Mutter eine besondere Freude machen würde, seien sie auf die Idee gekommen mich als Geburtstagsgeschenk zu überreichen, weil die Mutter immer so viel von mir erzählte. Ob ich das wohl machen würde? Natürlich wollte ich es sehr gerne machen aber zu der Zeit war ich noch zwei Tage mit der Polio-Gruppe mit Rollstuhl in Rheinsberg.Das sei kein Problem, meinte die Tochter, sie würden einen Chauffeur schicken, der mich samt Rollstuhl abholen würde. So war es dann auch. Die Fahrt von Rheinsberg nach Minden war für mich schon ein Erlebnis, war es doch eine Gegend, die mir noch fremd war. Man brachte mich in einem Romantik-Hotel unter, was ich mir gar nicht hätte leisten können. Am Abend vor dem Geburtstag gingen Mutter und Tochter zum Essen in das Hotel, wo ich dann als Überraschungsgeschenk übergeben wurde. Das war eine Freude auf beiden Seiten! Am Geburtstag war nur die Familie zugegen sowie als Fremde eine alte Schulfreundin von ihr und ich. Auch in der Geburtstagszeitung kam ich vor. Es war eine rundum sehr schöne Feier. Aber das war ja noch nicht alles. Ich war eine Woche da und die Tochter hat viel mit uns unternommen. Wir waren bei der Porta Westfalica, unternahmen eine Schifffahrt auf Weser und Mittellandkanal, sahen viel von der schönen Gegend und genossen das gute Essen. Nach einer Woche wurde ich vom Chauffeur der Familie nach Hannover zum Zug gebracht, wo ich dann Erster Klasse nach München gefahren bin und hier am Bahnhof von einem Taxifahrer erwartet wurde, der mich nach Hause fuhr.

Es war zwar ein Geburtstagsgeschenk für meine inzwischen noch mehr ans Herz gewachsene Freundin, aber ich glaube, dass ich viel mehr beschenkt wurde. Ich bin zwar mit meinem Leben sehr zufrieden, aber an so ein Leben könnte ich mich auch gewöhnen - jedenfalls würde es mir nicht schwer fallen. Es war ein Ausflug in eine andere Welt und ich werde immer noch gerne daran denken.

Else Hestermann