Lange Zeit wurde Kunst zwar von vielen weltlichen und geistlichen Herrschern geschätzt und gesammelt, die Gemälde und sonstigen Kunstwerke wurden aber üblicherweise in den jeweiligen Schlössern oder Klöstern aufbewahrt und waren so der Öffentlichkeit gar nicht zugänglich. Dies änderte sich erst im 19. Jahrhundert, als kunstsinnige Herrscher wie König Ludwig I. sich dem Ideal der Volksbildung verpflichtet sahen und daher ihre Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich machten. Zum Bau eines entsprechenden Museums wurde in München Leo von Klenze beauftragt und am 16. Oktober 1836 eröffnete dieses Museum, die Alte Pinakothek, ihre Pforten
Das 175jährige Bestehen der Alten Pinakothek 2011 wird bereits seit Anfang des Jahres mit einem Reigen an Ausstellungen gefeiert: so konnte im Rahmen einer Schau über die Sammlungstätigkeit König Max I. Joseph von Bayern auch ein wunderbares Bild von Vermeer bestaunt werden,  den Werken Cranachs in Bayern war eine andere Ausstellung gewidmet und eine Untersuchung ausgewählter Alter Meister mit den neuesten wissenschaftlichen Methoden beförderte hochinteressante Erkenntnisse über die Arbeitsweise der einzelnen Maler zutage.

Die jetzt zu sehende Ausstellung über Perugino stellt aber den unbestreitbaren Höhepunkt dar. Dieser Mitte des 15. Jahrhundert in der Gegend von Perugia geborene Maler mag zwar nicht der bekannteste Künstler der italienischen Renaissance sein. Wenn man aber hört, dass seine Lehrmeister Piero della Francesca und Andrea del Verrocchio waren, als dessen Schüler er gemeinsam mit Leonardo da Vinci und Botticelli genannt wird, und er seinerseits als Lehrer Raffaels gilt,  wird deutlich, wie tief er im damaligen Kunstbetrieb verankert war (heutzutage würde man wohl sagen „vernetzt“) und wie stark sein Einfluss auf andere Künstler gewesen sein muss, allen voran Raffael. Und sieht man sich die Werke Peruginos in der Ausstellung an, wird sofort klar, dass dieser Maler hierzulande eindeutig unterschätzt wird.
Das zeigt sich bereits bei den einen ersten Schwerpunkt der Ausstellung bildenden religiösen Werke: ob die Vision des heiligen Bernhard, die Bildnisse des heiligen Sebastian oder des toten Christus, die Sanftheit im Ausdruck und eine kompositorische Durchdachtheit, von den eingesetzten Farben über die Gesten bis hin zu den Blicken und Hintergrundmotiven, bestechen jeden Besucher, der sich die Zeit nimmt, die einzelnen Bilder nicht nur im Schnelldurchlauf „abzuarbeiten“, sondern anzusehen und auf sich wirken zu lassen.Aus den weiterhin zu sehenden Zeichnungen  und kleineren Bilder Peruginos geht sodann hervor, wie genau dieser Maler hinzuschauen imstande ist und wie meisterhaft er auch die kleinste Feinheit im Gesichtsausdruck abbildet.Dies zeigt auch der letzte Schwerpunkt der Ausstellung, das Porträt. An einer Wand sind dazu drei männliche Porträts nebeneinander gehängt und verdeutlichen auf diese Weise, wie Perugino durch Positionierung des Dargestellten (beispielsweise durch ein Landschaftsmotiv im Hintergrund, eine zwischen Porträtiertem und Betrachter „eingemalte“ Brüstung), Gesten, die Kleidung und sogar die Darstellung der Gesichtshaut Aussagen trifft, ja charakterisiert. So hält im berühmten Porträt des Francesco delle Opere der Porträtierte dem Betrachter ein Blatt mit der Aufschrift „Timete Deum“ (Fürchtet Gott) entgegen – das Motto von Savonarola, der in jenen Tagen Florenz beherrschte, und mithin ein Kommentar zum Zeitgeschehen.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 15. Januar 2012.

Wolfgang Vogl