Zu Besuch in der Hypo-Kunsthalle „Bunt, sehr bunt“, das ist der erste Eindruck, wenn man in die Ausstellungsräume der Hypo-Kunsthalle kommt, um sich die Ausstellung Orientalismus in Europa anzusehen.

Und dieser Eindruck trügt nicht, wenn auch die Farbnuancen wechseln – im Saal über die Wüstenbilder zum Beispiel herrschen Gelb- und Brauntöne vor – dennoch sahen die europäischen Maler, die den Orient bereisten, ihn zumeist in den prächtigen Farben der Erzählungen aus tausend und einer Nacht.

Begonnen hat diese Orientbegeisterung mit Napoleons Ägyptenfeldzug, auch wenn man der historischen Wahrheit zuliebe einräumen muss, dass schon im alten Rom eine Ägyptenbegeisterung bestand, der eine spezielle Kabinettausstellung im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst unter dem Titel „Ägyptomanie en miniature“ nachspürt, eine bestimmt lohnende Ergänzung zu der großen Schau über Bilder des 19. Und 20. Jahrhunderts.

Groß ist die Vielfalt der Themen: vom Basar zum Harem, von der Wüste zum Palast, vom Hausschuhverkäufer zum Haschischraucher reichen die Sujets. Immer kommt hier zum Ausdruck, wie europäische Künstler den Orient gesehen und wiedergegeben haben, das heißt sowohl genaue Beobachtung als auch schwelgende Phantasie, vor allem, wenn es um Bereiche geht, zu denen Europäer keinen Zutritt hatten, wie die Haremsgemächer. Und so ist die Darstellung mal penibel genau, mal illusionistisch, ja auch visionär. Auch, wo sie genau sein will, stimmt sie nicht immer. Da wird eine Odaliske rank und schlank dargestellt, während in Wirklichkeit diese Frauen den Potentaten zu gefallen, füllig weich und gut gepolstert zu sein hatten.

Ausstellungsstücke, die dem Betrachter besonders stark im Gedächtnis blieben: eine impressionistische Darstellung des Getümmels im maurischen Spanien, das die Romantik wiederentdeckt hatte. Der Traum des Eunuchen, aus dessen Opiumpfeife der Rauch in Gestalt einer Frau und eines Knaben mit einem Messer quillt, das unglückliche Schicksal des Träumers widerspiegelnd. Die Weisen aus dem Morgenland an der Spitze einer großen Kamelkarawane, kräftige Farben der Gewänder, eindringlich blickende Gesichter. „Es ist vollbracht“, ein Blick auf Golgatha, doch sieht man nur die abziehenden Soldaten und Leute, die drei Kreuze ragen lediglich als Schatten von rechts in den Vordergrund. Wunderbare Tierplastiken, ein Tiger eine Gazelle reißend, ein Panther verzehrt einen Hasen. Ethnologische Plastiken, die versuchen typische Gesichtsformen und die Kleidung einzufangen. Die Skulptur „schwarze Venus“ zeigt in Körperhaltung und Gesichtszügen den Stolz und die Schönheit einer Afrikanerin. Das Katharinenkloster im Sinai, auf den ersten Blick fotorealistisch, dann kommt aber doch der grobe, bewusste Farbauftrag diesem Eindruck in die Quere.

Ein Großteil der Exponate, das muss gesagt werden, ist Salonmalerei, wie sie aus welchem Grund auch immer momentan so im Schwang ist. Sehr typisch z.B. Makarts riesiges Gemälde vom Tod der Kleopatra. Gekonnt, virtuos, wirkungsvoll, wie er da gepinselt und gespachtelt hat – und doch wurde Makart nicht ohne Grund lange Zeit von der Kunstgeschichte als bloßer Dekorationsmaler behandelt. Viel stärker im Ausdruck ist ein kleines Bild direkt daneben, zum gleichen Thema, von einem französischen Maler, dessen Werk von der Jury zurückgewiesen wurde und der es daraufhin vernichtete, lediglich der sehr sprechende, eindrucksvolle Kopf der Königin ist als Fragment geblieben. Aus der Vielzahl der gezeigten Bilder ragen die Werke anerkannter Meister hervor, und sie betrachtend versteht man, warum zum Beispiel Delacroix, Ingres, Corot, Macke, Kandinsky Namen sind, deren Geltung auch ohne Urteil von Jurys bestehen bleibt. Erstaunt hat mich, wie kleinformatig Bilder, etwa der „Tod des Sardanapal“ von Delacroix und andere seiner Werke sind. Ein Wimmelbild in kräftigen Farben, voller Bewegung und Pathos, die Jagdszenen sind freilich noch schöner. Kleinformatig auch Ingres‘ berühmter Rückenakt einer Badenden. Und dann die klassische Moderne: Der Untertitel der Ausstellung „von Delacroix bis Kandinsky“ ist ein wenig großsprecherisch, wenn nur ein einziges, freilich wunderbares Kandinsky-Gemälde gezeigt wird: der „arabische Friedhof“ aus dem Jahre 1909. Weiter finden sich eine Massenszene von Renoir, ungewohntes Sujet, aber typisch in der Farbgebung und im Pinselstrich, drei ruhige, klare Macke- Bilder, ein sehr bewegter, noch ziemlich jugendstiliger Holzschnitt von Franz Marc, der Delacroix‘ Löwenjagd-Thema aufgreift, jedoch die Formensprache der Tierbilder Marcs bereits enthält. Ein anderes in der Ausstellung enthaltenes Exponat, den jagenden Panther, greift eine Plastik von Matisse auf – wer vergleichen will, wie dieser das Thema aufgegriffen und weiterentwickelt hat, muss freilich noch einmal ein paar Säle zurückgehen.

So klein dieser letzte Saal der Ausstellung ist, so exquisit sind die darin präsentierten Arbeiten. Wer sehen will, wie sich der Orient in den Augen europäischer Künstler gespiegelt hat, wird an dieser Ausstellung seine Freude haben, desgleichen wer viele schöne, interessante Bilder und etliche Meisterwerke sehen, jedenfalls eine Menge Eindrücke aufnehmen will. Wie kommen Rollstuhlfahrer in die Ausstellung? In der Kassenhalle, Eingang Theatinerstraße, führt ein Aufzug in den ersten Stock. Nach Vorzeigen der Eintrittskarte führt ein weiterer Aufzug in die Lounge und zu den Ausstellungsräumen. Es kann auch vom Museumsshop (Eingang Salvatorpassage) ein Aufzug zur Kasse im ersten Obergeschoss genutzt werden.

Allerdings ist diese zweite Kunsthallen- Kasse im Bereich des Cafés nicht immer besetzt. Die Ausstellung dauert noch bis zum 1. Mai und ist täglich von 10 – 20 Uhr geöffnet.

Jürgen Walla