Fachgespräch bei den Grünen im Landtag zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention zum Thema Barrierefreiheit

  
Geleitet wurde das Gespräch von  der Sprecherin der Grünen im Sozialausschuss des Landtages, Frau Renate  Ackermann. Heidi Dintel, Behindertenbeauftragte von Memmingen und Vorstandsmitglied des VKIB (dem Zusammenschluss der bayerischen Behinderbeauftragten und Beiräte) erläuterte, inwieweit  der Öffentliche Nahverkehr und der Regionalverkehr in Bayern noch Welten von einer Verwirklichung der Barrierefreiheit entfernt ist.Von 1200 Bahnhöfen sind  um die 800 nicht zugänglich. Auch wenn ein barrierefreier Bahnhof angefahren wird, sind Spontanfahrten nur bei Zügen möglich, die Rampen mitführen, und das sind nicht viele. Da die Bahn altes Fahrzeugmaterial nur renoviert hat (die alten Silberlinge) sind bei vielen Zügen die Türen für Rollstühle zu eng und eine Rollstuhltoilette ist auch nicht vorhanden. Zwar gibt es einen Mobilitätsservice, der bei Voranmeldung von mindestens zwei Werktagen Ein- und Ausstieghilfe leistet. Aber er steht nur an ausgewählten Bahnhöfen zur Verfügung und  findet nicht während des gesamten Fahrbetriebs statt, was es schwer macht,  Termine oder die Anschlüsse zu Fernzügen wahrzunehmen. Außerdem steht nur wenig Personal für den Mobilitätsservice zu Verfügung, so dass es auch häufiger zu Absagen kommt. Im regionalen Busverkehr fahren immer noch zu wenig Niederflurbusse mit Einstieghilfe. Dies bedeutet, dass es für viele mobilitätseingeschränkte Menschen auf dem flachen Land  gar keinen öffentlichen Nahverkehr gibt.

Christine Degenhart, die Leiterin der Beratungsstelle für barrierefreies Planen und Bauen der Bayerischen Architektenkammer, hob in ihrem Beitrag vor allem darauf ab, dass die Bayerische Bauordnung in ihrer letzten Fassung schon ganz in Ordnung sei, aber die Ausführung der Verordnung und die Kontrolle zu wünschen übrig ließe. Die Kontrollrechte durch die Bauämter sind in Zuge der „ Entbürokratisierung“ zurückgefahren worden, so dass es oft lange nicht auffällt, wenn die Bauherren die Vorschriften zur Barrierefreiheit nicht einhalten. Bei den Bauämtern wird auch gar nicht mehr das Personal für Kontrollen vorgehalten. Die Sanktionsmöglichkeiten bei offensichtlichen Verstößen sind sehr beschränkt. In Memmingen wurde z.B. ein Multiplexkino gebaut, das nicht barrierefrei ist und obwohl die Behindertenbeauftragte dazu gehört wurde und dies bemängelte, konnte sie die Barrierefreiheit des Kinos nicht durchsetzen.
Es stellt sich aber die Frage, ob die in der Bauordnung in Bezug genommene Barrierefreiheit, inhaltlich wirklich den Forderungen der Behindertenrechtskonvention gerecht wird. Was z.B. dort keinen Niederschlag findet, ist die generelle Zugänglichkeit von Arbeitsstätten und auch beim Mietwohnungsbau ist die Barrierefreiheit erst ab mehr als zwei Wohnungen Vorschrift.   

Der dritte Beitrag von Hanne Kamali stellte dann das Projekt des CBF
„Internetsuchmaschine: Für Rollstuhlfahrer zugängliche Ärzte und Therapeuten in der Region München “ vor.
In einem ersten Teil berichtete sie zunächst über den Stand des Projekts nach dreijähriger Arbeit. Danach sind die Ärzte der Stadt München fast alle einmal bearbeitet.  Knapp 2000 Münchener Praxen sind derzeit auf der Homepage. Im zweiten Durchgang werden nun die Daten aktualisiert und auch Therapeuten aufgenommen. Die Ärzte und Therapeuten um München sind alle abtelefoniert und werden derzeit begangen. Die Suchmaschine des CBF gibt Auskunft zu den baulichen Gegebenheiten der Praxen, die für Rollstuhlfahrer relevant sind: keine oder eine Stufe, Lift nach DIN oder kleiner (Türbreite mindestens 70cm), Bestellpraxis (kurze Wartezeiten, was ohne WC wichtig ist), Hausbesuche oder Hausbehandlung möglich, Rolli WCs, falls vorhanden.
Sodann verglich Hanne Kamali die Suchmaschine des CBF mit zwei anderen Suchmaschinen, nämlich der Arztauskunft der Stiftung Gesundheit www.arzt-auskunft.de (siehe Februarausgabe 2010 der Clubpost) und der Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung www.kvb-bayern.de, auf der zur Zeit für ganz München nur vier Arztpraxen als rollstuhlgerecht ausgewiesen sind.
H. Kamali, L. WüstnerIn einem letzten Teil widmete sie sich schließlich einem Vergleich der Münchner Bezirke.  Dabei schneidet Schwabing – Freimann, mit den meisten barrierefreien Arztpraxen und WCs (45 Praxen und 20 WCs), am besten ab. Moderne Ärztehäuser verbessern hier, wie auch in Moosach und Harlaching, die Versorgungslage. Am anderen Ende dieser Skala sind fünf Bezirke ohne ein einziges für Rollis zugängliches WC. Aubing, Hadern, Haidhausen, Berg am Laim und Allach-Untermenzing. Beim Schlusslicht Allach-Untermenzing konnten wir nur vier Praxen insgesamt aufnehmen; wirklich barrierefrei ist überhaupt nur eine davon.

Frau Ackermann kritisierte zum Abschluss noch Bundesregierung  und schwarz-gelbe Landesregierung, die bei Unterzeichnung und Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention  sich so äußerten, als ob alles, was die Konvention fordern würde, auf Bundes- und Landesebene schon längst erfüllt sei.
Frau Ackermann  hat recht, dass die zuständigen Stellen sich hier gehörig täuschten, wir sind aber froh, dass die Konvention unterzeichnet und ratifiziert wurde. Wir fordern, dass Bayern ein Aktionsprogramm zur Umsetzung der Konvention aufstellt.

Carola Walla und Hanne Kamali