Kennen Sie Reichenhall - diese Mischung aus bayrischer Gemütlichkeit, tröpfelndem Salzwasser und flanierenden Kurgästen? Und das alles mit eindrucksvollen Bergen ringsum? Es ist eine sehr anziehende Mischung und durchaus für Rollstuhlfahrer geeignet, zumindest mit einigen Einschränkungen. Leider noch immer vollkommen indiskutabel sind die als solche bezeichneten behindertengerechten Ferienquartiere - wir haben schon einmal darüber berichtet. Auch die Politik der für den Fremdenverkehr Zuständigen hat sich nicht geändert: Diejenigen Unterkünfte, die eine etwas breitere Tür aufweisen, oder über einen stufenlosen Zugang verfügen, sonst aber gar nichts haben, was dem Rollstuhlfahrer das Leben erleichtern könnte, werden in Reichenhall nach wie vor als behindertengerecht ausgewiesen. Entsprechend ist die Ahnungslosigkeit des Hotelpersonals!

Dialog zwischen meiner Freundin Monika und dem Empfangschef des Hotels Luisenbad:
Monika: Haben Sie auch behindertengerechte Zimmer?
Empfangschef: Nein, die haben wir nicht. Wie lange möchten Sie denn in unserem Hotel bleiben?
Monika: Sie haben nicht ein einziges behindertengerechtes Zimmer?
Empfangschef: Nein, leider. Aber zu welcher Zeit möchten Sie denn in unserem Hotel wohnen? Wir sind derzeit nämlich ausgebucht.
Monika: Ja gar nicht, wenn Sie kein behindertengerechtes Zimmer haben!

Für solche Ignoranz entschädigt aber vieles andere. Beispielsweise ein Abendessen in unserer Lieblingswirtschaft "Hasenbräu". Dort sitzen auch die Einheimischen, das Essen ist fantasievoll bayrisch und das Personal hilfsbereit und gut gelaunt. Ab 17.30 Uhr gibt es ein sogenanntes "bayrisches Büfett". Es besteht aus schmackhaften Aufläufen - Nudeln mit Steinpilzen, Kartoffelauflauf, Gemüsegratin und saftigen Bratenstücken vom Rind, Schwein, Kalb, Lamm und Spanferkel. Für Vegetarier demnach genau so einladend wie für Fleischesser. Und dass wir uns schon nahe an Österreich befinden, sieht man daran, dass der Traubenmost, der in Franken "Federweißer" genannt wird, hier "Sturm" heißt. Die resolute Blonde, die am Büfett alles Gewünschte auf den Teller packt, scharfen Meerrettich dazugibt und Petersilie darüberflockt, schneidet mir das Fleisch mundgerecht - das erste Mal auf meine Bitte hin, dann ungefragt, sobald sie mich sieht - und wenn sie wegen des großen Andrangs an ihren Schüsseln nicht selber Zeit hat, mir den Teller zu unserem Platz zu tragen, ruft sie nach hinten "Ge Hanse, geh amoi her, drog dene Madl des Essn an Disch!" Und Hansi kommt sofort, übernimmt die Teller und begleitet uns liebevoll: "Bitteschön! Ich wünsche guten Appetit!".

Aber natürlich waren wir nicht nur zum Essen in Reichenhall. Eine kleine Sensation ist auch das Kino, in dem 2 von 4 Kinosälen behindertengerechte Plätze haben, ein Kino, das ein so ausgesuchtes Programm spielt, dass man sich fragt, wie es damit in dieser kleinen Provinzstadt überleben kann. Aber es geht. Mit viel Begeisterung, die die ambitionierten Betreiber im langen Gespräch an der Kasse oder nach dem Film auf ihr Publikum übertragen, halten sie ihr besonderes Programm das ganze Jahr durch und bekommen vom Bayrischen Staat dafür immer wieder eine Auszeichnung. Also wenigstens Lorbeeren, wenn schon keinen Zuschuss! Sehr viel konventioneller ist das Programm der sogenannten "Alpenklassik", mit dem Reichenhall dem benachbarten Salzburg, das gerade im Festspieltaumel erstickt, Konkurrenz machen will. Was gründlich schief geht.

Aber was museumsbegeisterte Rollstuhlfahrer in Bezug auf Salzburg unbedingt wissen sollten: Seit neuestem müssen Autofahrer, die nicht das S für Salzburg oder BLG für Berchtesgaden oder Reichenhall auf dem Nummernschild haben, bei schönem Wetter am Stadtrand von Salzburg umkehren. Als wir die Autosperre erreichten, entwickelte sich folgender Dialog zwischen Monika und dem stoisch abwehrenden Polizisten:

Polizist: Umkehren, Sie dürfen nicht hinein -
Monika: Nein, warten Sie, schauen Sie, da ist unser Parkausweis für Behinderte
Polizist: Na meinetwegn, dann fahrns halt zua 
Monika, des genauen Weges unkundig: Immer geradeaus?
Polizist: Na, des ned grod, aba fahrns jetzt einfach zua!

In 10 Minuten hatten wir das Herz der Stadt erreicht, parkten direkt vor dem Festspielhaus auf einem für Rollstuhlfahrer reservierten Parkplatz und gingen ins Rupertinum, das unter anderem die besten Stücke seiner Sammlung zeigte, von Klimt bis zur Gegenwart. Wir zahlten weder für den Rollstuhlfahrer noch für die Begleitung und wurden rührend betreut und herumgereicht, von Stockwerk zu Stockwerk. Danach wechselten wir hinüber zum Mönchsberg und hinauf ins Museum der Moderne, das eine staunenswerte Ausstellung "moderner Malerei aus China" zeigte. Diesmal zahlten wir weder für den sonst sehr teueren Aufzug, noch für das Museum.

Also, liebe Rollstuhlfahrerkollegen und -kolleginnen, wagen Sie sich ruhig hinein in den übervollen Festspielort, zu diesem billigen Vergnügen in zwei hervorragenden Museen, in denen Sie fast alleine sind, während sich in der Altstadt die schwitzenden Massen hart auf Tuchfühlung an Mozarts Geburtshaus vorbeischieben!

Doch zurück nach Reichenhall, wo wir wieder neue, rollstuhlgerechte Wege entdeckt haben. Unsere Wirtsleute haben Monika ein bergläufiges Fahrrad mit Mehrgangschaltung ausgeliehen und dann sausten wir los, die Saalach entlang, auf asphaltierten Wegen bis nach Piding zur Staufenbrücke, hinüber über den Fluss und nicht mehr ganz so bequem, über Kieswege, hinauf bis zum Nonner Kircherl und hinein in das Cafe Quellenhof, wo uns ein freundlicher Wirt begrüßte, mit melodisch schwingender Stimme, einem Apostelkopf und wohlbedachten Worten zu Land und Leuten. Was den Reiz dieses Mannes noch erhöhte, war, dass er Konditormeister gelernt und eine Weinschaumtorte, die auf der Zunge zerging, gebacken hatte. Auf das Problem mit behindertengerechten Urlaubsquartieren angesprochen, meinte er, das Haus sei noch von seinen Schwiegereltern gebaut worden und die Zimmer deshalb unzugänglich, alle im 1. Stock, aber sobald er die Ferienwohnung nebenan umbauen würde, würde die wenigstens behindertengerecht werden, das hatten sie schon lange geplant.

Zurück zu den Radl- und Rollstuhltouren in und um Reichenhall. Die Nonner Auen sind insgesamt ein wunderbar flaches, wildbewachsenes Gebiet, durch das viele kleine, für den Rollstuhl geeignete Wege führen. Den anderen Tag sind wir um den Thumsee herumgefahren, bei wunderbarem Badewetter - "Buon giorno - buon giorno!" (eine italienische Großfamilie beim Picknick am flachen Ufer sitzend, die Füße im Wasser zwischen den träge herumdümpelnden Fischen), und bei Nieselregen um den Hintersee - gottlob, denn bei schönem Wetter quälen sich auch hier die Kolonnen am See entlang. Seit kurzem wurde der Fußweg am See neu mit Kies aufgeschüttet, so dass ich ganz gut - manchmal mit Hilfe anderer Spaziergänger, weil es gelegentlich recht steil war - vorwärts kam - Monika einmal vorne bremsend oder hinten schiebend oder starke Männer dirigierend, die mich vorsichtig über ein klappriges Brücklein balancierten. Und abends wieder in ein gemütliches Wirtshaus, denn es gibt noch andere, die Padinger Alm beispielsweise, oder die Niederalm, alle mit berauschendem Rundblick, hoch über der Stadt! Also - trotz der Schwächen dieser kleinen Kurorts - auf nach Reichenhall! Die Natur ist grandios, die Ausblicke panoramaweit, das Atmen auf dem gemächlichen Spaziergang um das Gradierwerk herum leicht und frei durch das salzige Wasser, das aus großer Höhe heruntertröpfelt und die Luft frisch und weich werden lässt. Und wenn die Sonne scheint, blitzen und sprühen die Tropfen in allen Regenbogenfarben.
Es ist ein Genuss!

Ingrid Leitner