Wer kennt das nicht? Man möchte von A nach B, um dort jemanden zu besuchen. Während des Aufenthalts dort ist die erforderliche Betreuung kein Problem, doch wie kommt man erst einmal ans Ziel? Man selbst kann beispielsweise nicht oder nicht mehr Auto fahren; eine Zugfahrt wäre häufig zu lang, organisatorisch wegen der Gegebenheiten im Zug, unter der Fahrt auftretender Bedürfnisse, wie dem Toilettengang, oder des Erfordernisses des Umsteigens nur schwer zu bewältigen.
Bleibt eigentlich und trotz klimaschädlicher Auswirkungen oftmals nur das Flugzeug, um ein Mindestmaß an Mobilität zu erhalten bzw. zu gewährleisten. Weiß man in München noch, dass der dort zuständige Medizinische Dienst äußerst zuverlässig arbeitet und sich durch Freundlichkeit und Professionalität auszeichnet, bleibt weitgehend im Dunkeln, was auf einen am Zielort zukommt, und als behinderter bzw. in seiner Mobilität eingeschränkter Fluggast hat man verständlicherweise keine große Lust nach Art des „ learning by doing“ im Einzelfall herauszufinden, welcher Flughafen in dieser Beziehung empfehlenswert ist und welcher nicht.
Zugegeben, behinderte oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Flugreisende sind nicht gerade die Wunschkunden der immer auf größeren Umsatz und höhere Passagierzahlen bedachten Flughäfen, Fluggesellschaften und Flugmittler.
Andererseits gewährleistet die Möglichkeit für einen behinderten oder in seiner Mobilität eingeschränkten Menschen, eine Flugreise unternehmen zu können, ein Ausmaß an Mobilität, das für den Betroffenen schon für sich gesehen als positiv einzustufen und in seiner psychologischen Wirkung nicht zu unterschätzen ist.
Um so kontraproduktiver können sich eine Vielzahl von Maßnahmen auswirken: muss der Behinderte oder in seiner Mobilität Eingeschränkte befürchten, von der Fluggesellschaft wegen seiner Behinderung oder eingeschränkten Mobilität abgelehnt zu werden, wird er es sich unter Umständen überlegen, ob er überhaupt einen Flug zu buchen versuchen wird. Die Kosten der erforderlichen Hilfsleistungen werden ferner bei einer Entscheidung über die Inanspruchnahme von Bedeutung sein und würden im Extremfall eine Reisetätigkeit Behinderter und in ihrer Mobilität Eingeschränkter erheblich reduzieren. Schließlich entscheiden Professionalität der mit den Hilfeleistungen betrauten Mitarbeiter sowie Modalitäten im Rahmen der Abwicklung der Hilfeleistungen darüber, ob und mit welcher Häufigkeit diese letzteren von den Betroffenen in Anspruch genommen werden oder mangels Sensibilität der Mitarbeiter oder Praktikabilität der Modalitäten sich als ungeeignet erweisen.
Diese Wechselwirkung zwischen der Mobilität Behinderter einerseits und den Bedingungen, unter denen diese konkret realisiert werden kann, andererseits, hat die Europäische Union  erkannt und durch die Verordnung Nr.1107/2006 vom 5. Juli 2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität im Sinne einer Förderung der Mobilität dieser Personengruppe gelöst.

Darf eine Fluggesellschaft mich als Behinderten zurückweisen?

Zuallererst sieht die Verordnung denn auch eine grundsätzliche Beförderungspflicht vor, die nur in zwei Fällen Ausnahmen vorsieht, nämlich (a) um Sicherheitsanforderungen, die in internationalen, gemeinschaftlichen oder nationalen Rechtsvorschriften festgelegt sind, oder den Sicherheitsvorschriften derjenigen Behörde nachzukommen, die der betroffenen Fluggesellschaft das Luftbetreiberzeugnis ausgestellt hat oder (b) wenn wegen der Größe des Flugzeuges oder seiner Türen eine Anbordnahme oder Beförderung  dieses Kunden nicht möglich ist, Art.3, 4 Abs.1 der Verordnung.
Diese Vorschrift ist in zweierlei Hinsicht begrüßenswert. Durch das Erfordernis internationaler, gemeinschaftlicher oder nationaler Rechtsvorschriften ist zum einen ausgeschlossen, dass einzelne Fluggesellschaften eigene Sicherheitsanforderungen in ihre Beförderungsbedingungen aufnehmen, um Behinderte auszuschließen und auf diese Weise die beabsichtigte Nichtdiskriminierung durch die Hintertüre wieder umgehen. In diesem Zusammenhang und ebenfalls zum Schutz behinderter bzw. in ihrer Mobilität eingeschränkter Fluggäste ist auch die weitergehende Informationsverpflichtung zu sehen, wonach die für bei der Beförderung behinderter Menschen oder von Personen mit eingeschränkter Mobilität zu befolgenden Sicherheitsvorschriften und Beschränkungen darüber hinaus zugänglich zu machen sind. Der zweite Ausschlussgrund ist zum andern so weit objektiviert, dass ein Missbrauch weitgehend ausgeschlossen erscheint, schließlich kann eine Unmöglichkeit der Beförderung oder der Anbordnahme aus den oben bezeichneten Gründen im Falle einer Beschwerde leicht überprüft werden.
Ebenfalls im Interesse der Rechtssicherheit des Behinderten oder in der Mobilität Eingeschränkten liegt auch die weitergehende Verpflichtung, den Kunden über die Gründe für eine Weigerung der Buchung zu informieren, dieser kann sogar eine schriftliche Mitteilung innerhalb von fünf Werktagen verlangen, Art. 4 Abs. 4. Diese Pflicht, eine ablehnende Entscheidung begründen und sich an dieser Begründung dann auch messen lassen zu müssen, wird sich sicher zu Gunsten behinderter oder in ihrer Mobilität eingeschränkter Fluggäste auswirken, da damit Scheinbegründungen ein Riegel vorgeschoben sein dürfte. Zudem kann aus einer Verletzung dieser Vorschrift eine Erstattung oder eine anderweitige Beförderung resultieren.

Wann beginnt die „Betreuung“ am Flughafen?

Weiterhin beginnt bislang eine „Betreuung“ üblicherweise am Abfertigungsschalter. Dies bedeutet aber, dass der behinderte oder in seiner Mobilität eingeschränkte Fluggast erst einmal zu diesem gelangen muss, was gerade bei großen Flughäfen mit längeren Wegen und dementsprechend erheblichem organisatorischen Aufwand verbunden ist. Art. 5 der neuen Verordnung schafft deshalb Abhilfe, wenn darin bestimmt wird, dass die Leitungsorgane der Flughäfen Ankunfts- und Abfahrtsorte im Regelfall innerhalb der Flughafengrenzen bestimmen, an denen behinderte und in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen ihre Ankunft bekannt geben und um Hilfe bitten können. Die Erwägungsgründe zur Verordnung nennen insoweit beispielhaft die Haupteingänge der Abfertigungsgebäude, Bereiche mit Abfertigungsschaltern, U-Bahnhöfe oder Taxistände. Damit verkürzt sich der vom behinderten oder in seiner Mobilität eingeschränkten Fluggast allein, d.h. ohne Hilfeleistungen, zurückzulegende Weg zukünftig beträchtlich und die Verordnung trägt so zu einer Förderung der Mobilität bei.

Was kostet das?

Hinsichtlich der Kosten bestimmt Art. 8 Abs.1 der Verordnung schließlich eindeutig, dass dem behinderten oder in seiner Mobilität eingeschränkten Fluggast keine zusätzlichen Kosten entstehen. Die vereinzelt in Berichten angesprochene Praxis, wonach von einzelnen Fluggesellschaften solche Leistungen den Betroffenen gesondert in Rechnung gestellt werden, wird demnach bald der Vergangenheit  angehören. Um den einzelnen Fluggesellschaften auch ja keinen Anreiz zu geben, behinderte oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Fluggäste nicht zu befördern, werden die diesbezüglich entstehenden Kosten diskriminierungsfrei, d.h. bezogen auf sämtliche Fluggäste, umgelegt.

Was muss ich tun, wenn ich Hilfeleistungen in Anspruch nehmen möchte?

Die Hilfeleistungen, die überwiegend von den Leitungsorganen des Flughafens, im übrigen aber von den Luftfahrtunternehmen zu erbringen sind, werden im einzelnen in zwei Anhängen zur Verordnung aufgeführt und umfassen sämtliche Schritte, die von der Ankunft am Flughafen bis zum Abflug bzw. bis zur Abfahrt vom Flughafen im Falle der Landung erforderlich sind, also beim Abflug von der Hilfe zum Erreichen des Abfertigungsschalters über die Hilfe bei der Abfertigung und zum Erreichen des Luftfahrzeugs. Es versteht sich von selbst, dass die Zurverfügungstellung all dieser Hilfestellungen mit einem enormen logistischen Aufwand verbunden ist. Aus diesem Grund sieht Art. 7 Abs. 1 der Verordnung vor, dass die Hilfsbedürftigkeit mindestens 48 Stunden vor der für den Flug veröffentlichten Abflugzeit dem Luftfahrtunternehmen, dessen Erfüllungsgehilfen oder dem betreffenden Reiseunternehmen gemeldet werden muss, um einen Anspruch darauf zu haben. Die Luftfahrtbranche sowie die Kommission mag dies damit begründen, dass mit den durch die Verordnung eingeräumten Rechten auch gewisse Pflichten einhergehen. Tatsächlich gewährleistet die Einhaltung dieser „Spielregel“ vielmehr aber im Interesse des Flugreisenden selbst, dass die erforderlichen Hilfeleistungen auch organisiert werden können und sich dieser auch darauf verlassen kann – ein nicht zu unterschätzender Vorteil!

Weitere technische Details

Um zu gewährleisten, dass die mit der Stellung von Hilfsmaßnahmen befassten Mitarbeiter mit der notwendigen Sensibilität und Professionalität an ihre Aufgabe herangehen und auch über neueste Erkenntnisse auf dem Laufenden sind, werden schließlich umfangreiche Schulungsmaßnahmen vorgesehen.
Schlussendlich stellt die Verordnung für den Fall vermeintlicher Verletzungen ein Beschwerdeverfahren zur Verfügung und schreibt für den Fall von Verstößen gegen die Verordnung Sanktionen vor.
Die Verordnung ist bereits am 15.08.2006 in Kraft getreten und gilt für alle Flughäfen mit mehr als 150.000 Passagieren im Jahr; sie gilt hinsichtlich der grundsätzlichen Beförderungspflicht behinderter oder in ihrer Mobilität eingeschränkter Fluggäste (Art. 3 und 4) ab 26.07.2007, im übrigen ab 26.07.2008.

Was bedeutet die Verordnung für mich?

Flüchtig betrachtet und auf das hohe Niveau beispielsweise des Münchener Flughafens bezogen, mag diese Verordnung nur wenig Neues bringen. Doch bei genauerer Untersuchung erweist sie sich von immenser Bedeutung: zum einen schafft sie einen Mindeststandard, auf den behinderte oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Fluggäste bald schon in den nunmehr siebenundzwanzig Mitgliedstaaten bei Reisen zählen können. Dass dieser Standard auch für andere Länder eine enorme Anstoßwirkung hat, sollte insoweit ebenso nicht vergessen werden. Zum andern kann eine Verwirklichung der in der Verordnung enthaltenen Rechte im Wege von Beschwerden gegen potentielle Verletzungen ständig überprüft werden und es ist davon auszugehen, dass die einschlägigen Verbände insoweit ihre kostbare Kontrollfunktion wahrnehmen werden. Nicht zuletzt ist die demographische Enzwicklung unserer Gesellschaft zu beachten. Angesichts der zunehmenden Alterung unserer Gesellschaft wies der Leiter Unternehmenskontakte der Fraport AG in einem Workshop auf der Tourismus-Konferenz der SPD am 27.11.2006 in Berlin zutreffend darauf hin, dass die Verordnung und die darin enthaltenen Rechte und Pflichten in den kommenden Jahren immer größere Bedeutung erlangen werden.

Wolfgang Vogl