Im Februar dieses Jahres haben die beiden großen christlichen Kirchen zusammen eine Schrift herausgegeben mit dem Titel „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“.
Um ehrlich zu sein – die Schrift hat uns nicht vom Hocker gerissen. Sie ist zu abstrakt, sie bezieht zu wenig klare Positionen. Sie wirkt angepasst und konservativ.
Aber – sie hat uns zu einigen Gedanken angeregt, die wir Ihnen kurz vorstellen wollen.


Der Slogan „Geiz ist geil“ ist für uns der Werbespruch, der eine neue Ära eingeläutet hat. Plötzlich wurde ganz deutlich, dass früher sogenannte Untugenden oder üble Eigenschaften wie „Gier“ oder „Geiz“ mit einem Schlag salonfähig waren, ja sogar positiv gewertet wurden: Ich bin ein toller Kerl, weil ich so geizig bin! Auf wessen Kosten dies passiert, was dabei auf der Strecke bleibt, dass Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit einfach so zur Seite gefegt werden, ist dabei nebensächlich.

Spätestens damals hätten die beiden christlichen Kirchen sofort aufschreien müssen. Denn wir fänden es wichtig, dass sie als große und einflussreiche moralische Lehranstalten, die sie sind, auf Fehlentwicklungen aufmerksam machen und sie unmissverständlich kritisieren. Die beiden Kirchen haben das in der vorliegenden Broschüre auch getan, aber unserer Meinung nach war das zu lasch. Dabei hätten sie eine gute Ausgangsbasis. Auf Seite 12 der Broschüre werden die hierfür  grundlegenden Stellen aus der Bibel zitiert, also wichtige Handlungsanweisungen aus dem ihrem Glauben zugrundeliegenden Buch:
Gott fragt Kain nach seinem Bruder Abel und dieser antwortet, „Was geht mich mein Bruder an!“ Das heißt, in unserer Gesellschaft schauen wir in christlicher Sicht doch zu viel auf das eigene Wohl und zu wenig auf das unseres Mitmenschen. 2. Beispiel, der Samariter. Er hilft einem Hilflosen und es ist vollkommen gleichgültig, ob er ein Freund, ein Gruppenangehöriger, ein Fremder oder ein Feind ist. Und schließlich die berühmte Bergpredigt, die denjenigen einen gerechten Ausgleich verspricht, die im Leben zunächst einmal schlechte Karten bekommen haben. Dass dies erst im Jenseits passieren soll, das glauben heutzutage auch die beiden Kirchen nicht mehr und fordern deshalb eine gerechte Gesellschaft hier und jetzt. So weit so gut.
Doch warum gibt es dann nach wie vor so viel Ungerechtigkeit, so wenig Mut, darauf hinzuweisen und so wenig Bereitschaft, sie auszugleichen?
Unschöne Beispiele
Beispiel: Bananen. Den Landarbeitern, die die Pflanzen pflegen, ernten, verpacken, werden nicht einmal Hungerlöhne bezahlt und die Umwelt wird skrupellos geschädigt. Wie wir aber alle längst wissen - es sind nicht nur die anderen, sondern auch wir sind es, die möglichst wenig zahlen wollen für eine Ware, die von Menschen in fernen Ländern unter unwürdigen, gesundheitsschädlichen Bedingungen, möglicherweise auch unter tödlichen Umständen hergestellt werden.
Wir bewundern auch den gerade verstorbenen Aldi-Bruder, weil er ein so riesiges Imperium aufgebaut hat und damit zum reichsten Mann Deutschlands geworden war. Dabei schauen wir nicht einmal auf unser eigenes Wohlergehen, weil wir in seinen Aldi-Filialen kürzlich Hackfleisch gekauft haben, das mit Plastikteilchen versetzt war und deshalb zurückgerufen werden musste. Bekömmlich war's nicht, aber billig!
Wir bemerken auch gar nicht, wie unsere Gier, unser Geiz und unser Neid uns dazu bringen, unsere Mitmenschen zu vernachlässigen. Eine der Well-Schwestern, (die Well-Schwestern sind eine bekannte bayerische Gruppe musikalischer Künstlerinnen) hat vor einiger Zeit von folgender Erfahrung berichtet: Als sie angefangen haben, mit ihrem Programm von Wirtshaus zu Wirtshaus zu ziehen, hat ihr begeistertes Publikum ihnen nach der Vorstellung geholfen, Musikinstrumente und anderes wieder im Auto zu verstauen. 20 Jahre später gab es plötzlich Leute, die nach der Vorstellung der Meinung waren, da sie, die Well-Schwestern, doch so viel verdienen würden, könnten sie sich ja auch beim Aufräumen selber helfen! Neid geht vor Menschlichkeit und Gemeinschaftsgefühl.


Doch weg von den alltäglichen Neid und Gier-Erfahrungen.
Auch die große Politik redet ja unentwegt von der Erhöhung des Sozialprodukts, vom Wachstum, das wir angeblich so dringend brauchen. Doch keiner hat uns bisher sagen können, bis wohin und wie lange und auf wessen Kosten wir wachsen können und wachsen sollen. Wachsen wir auf Kosten unserer Nachbarn, wachsen die Industrieländer auf Kosten der Entwicklungsländer? Wachsen wir, bis wir die Ressourcen dieser Erde endgültig verbraucht und verspielt haben? Und wenn wir uns selber fragen – was soll bei uns denn wachsen, unser materieller Wohlstand? Was wir brauchen, haben wir doch: ein Dach über dem Kopf, genügend zu essen, ohne um die tägliche Nahrung kämpfen zu müssen. Darüber hinaus brauchen wir Zugang zur Bildung, zur Kunst, zu einer gerechten Welt und zu den Möglichkeiten menschlichen Wachstums. Das haben wir eigentlich auch. Was also soll wachsen? Nun, wir hätten gerne, dass wir in unserem Leben weiser werden, verständiger, toleranter. Aber wir brauchen keine zwei Autos, keine zwei Wohnungen. Wir brauchen wirkliche Menschen als Partner, als Freunde, als Nachbarn, als Kollegen, als Chefs – keine Maschinen, keine Roboter, keine Sklaventreiber und keine Raffzähne.


Die vorliegende Broschüre ist leider ebenfalls für Wachstum – für ein maßvolles Wachstum, wie die Autoren sagen. Wir würden uns aber eher wünschen, dass sich die kirchlichen Verantwortungsträger das noch einmal überlegen. Sie sollten vielleicht ihrem christlichen Auftrag gemäß für das Wachstum von Mitmenschlichkeit, Großzügigkeit und Gemeinsinn plädieren und nicht für ein Wirtschaftswachstum, das allerorten auch Zerstörung, Verlust und Einsamkeit hinterlässt.


Ingrid Leitner und Lisbeth Wufka