An Kinderlähmung erkrankte sie, als sie schon erwachsen, schon Lehrerin war. Auch die beiden Töchter waren bereits geboren. Da hat sie die Krankheit schwer getroffen, mit ungewohnten Einschränkungen und zunehmender Verlassenheit. Sie musste sich ein neues Leben einrichten, alleine, auf sich selbst gestellt. Und das tat sie. Geschickt, ausdauernd und ohne Selbstmitleid.

Sie entschloss sich, in den Schuldienst zurückzukehren. Das Kultusministerium aber wollte keine behinderte Pädagogin: Ob sie, die Behinderte, denn zum Gespött der Schüler werden wolle? fragte ein höherer Beamter. Ein bekannter Münchener Sonderpädagoge hingegen unterstützte sie und es gelang – sie wurde als Lehrerin verbeamtet.

Als sie zu uns in den CBF kam, arbeitete sie überall mit. Es war ihr ein wichtiges Anliegen, die Integration behinderter Menschen voranzutreiben. Und auch wenn wir uns stritten, oder sie aus lauter Ärger drauf und dran war, dem Club zu schaden – irgendwann rauften wir uns wieder zusammen. Denn sie war ein wacher, interessierter Mensch, verlässlich und ein guter Kumpel.

Auch im Rollstuhl war Lieselotte Arndts eine Erscheinung, die keiner übersehen konnte. Eine große Gestalt, kurz geschnittenes grauen Haar, streng an den Kopf gekämmt und ein scharf geschnittenes Gesicht. Aber weiche Augen und ein Mund, der gerne lachte.

Als wir einmal gemeinsam zur Aufführung auf einer Freilichtbühne eingeladen waren, wollte sie einer der professionellen Helfer, die gerade herumstanden, über den steinigen Weg zu ihrer Sitzreihe schieben. Ungebeten fasste er an die Griffe ihres Rollstuhls und sagte, wie er es offensichtlich unwidersprochen schon hundert Mal zu älteren Damen gesagt hat: „Komm Oma, lass da helfn!“ Da richtete sie sich steil auf und antwortete. „Erstens bin ich nicht Deine Oma und außerdem habe ich Ihnen nicht erlaubt, mich zu duzen.“

Bei der Stadt München kämpfte sie lange Zeit für die Teilnahme auch behinderter Kinder am öffentlichen Leben. Denen standen damals die Ferienangebote der Stadt nicht offen, weil man für behinderte Kinder zusätzliche Betreuer gebraucht hätte. Da leistete sie wertvolle Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit.

Als sie sich im Münchner Taxibad für eine Einstiegshilfe ins Bassin einsetzte, wurde sie aus dem Verein, der das Taxibad betreute, ausgeschlossen. Es war ihr letzter großer Kampf gegen uneinsichtige Platzhalter überholter Zustände. Langfristig hat sie dann doch gesiegt: Das Taxibad hat jetzt einen neuen Trägerverein, der behinderten Menschen nützliche Angebote macht.

Bevor sie vor einigen Jahren ihre lang bewahrte Selbständigkeit aufgeben musste – sie war sehr viel schwächer geworden, brauchte einen Pflegedienst und wurde beatmet, da die Lunge es alleine nicht mehr schaffte – war das ein großer Verlust für sie. Vom Bereisen fremder Länder, was ihr immer eine Freude gewesen war, hatte sie schon lange Abschied genommen. Alles war zunehmend beschwerlicher geworden. Nur ihr Schrebergarten blieb nach wie vor ihr blühendes Paradies. Dorthin machte sie bis zuletzt ihre kleinen Ausflüge.

Mit 88 Jahren, genau an ihrem Geburtstag, ist sie gestorben.

Die Trauerfeier für Lieselotte Arndts findet am 26. Januar 2012, um 10 Uhr in der Aussegnungshalle des Westfriedhofs statt.

Ingrid Leitner