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In der Rechtswissenschaft ist es üblich, Gesetze durch ein einziges, aus abenteuerlich anmutenden Zusammensetzungen bestehendes Wort auszudrücken. Der Jurist empfindet dies als praktisch, da er sich das umständliche Umschreiben der mit dem Gesetz vorgenommenen Regelung erspart, der Laie versteht häufig wenig – oder nichts. So soll das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz (EinsatzVVerbG)  vor allem bestimmte Gruppen von Soldaten sowie deren Hinterbliebene besser vor den Auswirkungen eines Einsatzunfalls schützen oder das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) als Herzstück des Umweltrechts Standards zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge schaffen.

Ähnlich verhält es sich beim Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräimpG) vom 21. November 2011 (Bundesgesetzblatt  I – BGBl. I – vom 24. November 2011).

 

Was versteht man unter Präimplantationsdiagnostik?

Mit dem etwas sperrigen medizinischen Begriff „Präimplantationsdiagnostik“ (PID) wird ein seit etwa zwanzig Jahren in der Wissenschaft bekanntes Verfahren bezeichnet, bei dem – vereinfacht gesagt - weibliche Eizellen im Reagenzglas befruchtet und anschließend die solchermaßen erzeugten Embryonen genetisch untersucht werden. Eine derartige Untersuchung wird häufig – aber nicht immer – von den werdenden Eltern dann gewünscht, wenn sie bereits ein behindertes Kind haben oder eine vorherige Schwangerschaft mit einer Tot- oder Fehlgeburt endete und dies jeweils genetisch bedingt war. Sinn der Untersuchung ist es daher sicherzustellen, dass der Frau nur ein solcher Embryo eingesetzt wird, bei dem das befürchtete genetische Leiden nicht festgestellt werden konnte. Neben einer rein auf genetisch bedingte Krankheiten beschränkten Untersuchung können auf diesem Weg aber auch andere Eigenschaften festgestellt werden, so zum Beispiel das Geschlecht des untersuchten Embryos. Die daraus resultierende Möglichkeit einer Aussonderung nicht gewünschter Eigenschaften begründete daher den vielerorts erhobenen Vorwurf, wonach eine Zulassung der PID zum so genannten Designerbaby führe, das auf diesem Wege geschaffen werden könne.

 

Wie wird die PID rechtlich beurteilt?

Aus diesem Grund bestand bis vor kurzer Zeit Einigkeit darüber, dass die Durchführung der PID nach deutschem Recht nicht zulässig und sogar strafbar ist. Zwar regelte das insofern für maßgeblich erachtete Embryonenschutzgesetz (ESchG) vom 13. Dezember 1990 diesen Fall nicht ausdrücklich – was jedoch nicht weiter verwundert, steckte die PID zu jenem Zeitpunkt doch allenfalls in ihren Kinderschuhen - , doch wurde ein Verbot aus der im ESchG enthaltenen Ächtung einer missbräuchlichen Anwendung von Fortpflanzungstechniken entnommen, die sogar mit Geld- oder Freiheitsstrafe bewehrt ist und worunter auch die künstliche Befruchtung einer Eizelle zu einem anderem Zweck als demjenigen fällt, sie der Frau einzupflanzen, von der die Eizelle stammt. Genau das passiert aber bei  der PID: deren Zweck ist ja gerade, genetisch belastete Embryonen auszuscheiden und also eben nicht einzupflanzen.

Paare, die auf die PID zurückgreifen wollten, mussten sich daher bis vor kurzem in anderen Ländern, wie beispielsweise Belgien, behandeln lassen, wo diese Behandlungsmethode unter erleichterten Voraussetzungen gestattet war.

Vor diesem Hintergrund führte in Deutschland ein Frauenarzt mit Schwerpunkt Kinderwunschbehandlung in den Jahren 2005 und 2006 bei drei Paaren, bei denen jeweils einer der Partner genetische Belastungen aufwies, diese Behandlungsmethode durch. Auf die Selbstanzeige des Arztes hin kam es dann zu einem Strafverfahren, an dessen Ende im Juli 2010 der Bundesgerichtshof (BGH) die PID unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erachtete (wir berichteten in unserer Ausgabe der Clubpost vom August 2010 über diese Entscheidung).

Diese allein durch Gerichte ausgesprochene Erlaubnis einer neuen wissenschaftlichen Technik wurde in der Politik allgemein als unbefriedigend empfunden – und als ethisch bedenklich. Deshalb verwundert es nicht, dass bereits kurz nach Erlass der eben erwähnten Entscheidung eine lebhafte Diskussion darüber einsetzte, wie die PID gesetzlich zu regeln sei. Dabei verliefen die Fronten quer durch die Parteien, wobei sich aus der Diskussion drei parteiübergreifende Gesetzesentwürfe herausschälten: neben einem vollständigem Verbot waren zwei Kompromissentwürfe im Gespräch, von denen der eine, weniger restriktive, die PID zwar im Grundsatz verbieten, sie aber dann zulassen wollte, wenn aufgrund der genetischen Veranlagung der Eltern eine schwerwiegende Erbkrankheit beim Kind oder eine Tot- oder Fehlgeburt wahrscheinlich ist. Letzterer setzte sich durch und mündete nach der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat in das Präimplantationsgesetz vom 21. November 2011.

 

Der Inhalt des PräimpG

Vorab fallen in systematischer Hinsicht zwei Besonderheiten auf. Zum einen wird mit dem PräimpG kein neues Gesetz geschaffen, das selbständiger Bezugspunkt für diejenigen wäre, die die neue Technik durchführen bzw. durchführen lassen möchten. Vielmehr ergänzt und ändert dieses Gesetz in Artikel 1 das bestehende Embryonenschutzgesetz (ESchG), das sich damit jetzt ausdrücklich mit der Zulässigkeit der PID befasst und die Modalitäten im Einzelnen regelt bzw. auf eine von der Bundesregierung diesbezüglich zu erlassende Rechtsverordnung verweist. Das ist nur konsequent, war doch die fehlende Regelung der PID im Embryonenschutzgesetz für den Bundesgerichtshof das Einfallstor für seine die PID unter bestimmten Voraussetzungen zulassende Entscheidung.

Zum anderen weist die Regelung der PID offenkundige Parallelen zu den Vorschriften über den Schwangerschaftsabbruch auf. Auch dies leuchtet ein: abgesehen davon, dass es in beiden Fällen um den Umgang mit werdendem Leben geht, sind auch die juristischen und ethischen Fragen die gleichen oder zumindest vergleichbar.

Im Einzelnen gilt folgendes:

Kernstück des  neuen PräimpG ist die Schaffung und Einfügung eines zusätzlichen § 3a in das bestehende Embryonenschutzgesetz.

Dessen Absatz 1 verbietet zunächst die Durchführung der PID und droht eine Geldstrafe bzw.  Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bei Zuwiderhandlung an (vgl. insofern die ähnlich lautende Vorschrift des § 218 Strafgesetzbuch – StGB - für den Schwangerschaftsabbruch).

In zwei Fällen ist die Durchführung der PID bei schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt (also nicht auch vom Mann, von dem die Samenzelle stammt; der Einfachheit halber soll zukünftig nur von der potentiellen Mutter, dem potentiellen Vater bzw. den potentiellen Elternteilen gesprochen werden) jedoch nicht rechtswidrig und damit auch nicht strafbar (Absatz 2): bei einem hohen Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit für die Nachkommen aufgrund einer genetischen Disposition der potentiellen Mutter oder des potentiellen Vaters oder beider  sowie zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird.

Auch insofern besteht eine Parallele zum Schwangerschaftsabbruch, denn auch dort ist unter bestimmten Voraussetzungen der Abbruch nicht rechtswidrig und damit nicht strafbar (§ 218a Absatz 2 StGB).

Weiterhin sieht Absatz 3 dieses neuen § 3a des Embryonenschutzgesetzes eine Pflicht zur vorherigen Beratung und Aufklärung der potentiellen Mutter vor, unterwirft die Zulässigkeit der PID im Einzelfall einer Prüfung der Voraussetzungen sowie der Zustimmung einer an Zentren für Präimplantationsdiagnostik einzurichtenden Ethikkommission und beschränkt die Vornahme der PID auf eigens dafür qualifizierte Ärzte an solchen Zentren. Darüber hinaus wird eine umfangreiche Dokumentation der durchgeführten, aber auch der abgelehnten Fälle vorgesehen.

Das PräimpG regelt diese Punkte allerdings nicht bis ins letzte Detail selbst, sondern ermächtigt die Bundesregierung insofern zum Erlass einer Rechtsverordnung. Darin sollen insbesondere die Anzahl und die genauen Voraussetzungen für die Zulassung von Zentren für die PID, einschließlich der Qualifikation der dort tätigen Ärzte, geregelt werden, aber auch die Zusammensetzung und die Verfahrensweise der Ethikkommissionen sowie die Dokumentation der durchgeführten oder abgelehnten Maßnahmen.

Nach Absatz 4 ist sodann die Vornahme einer PID ohne Beratung und Aufklärung eine Ordnungswidrigkeit, nach Absatz 5 kann kein Arzt zur Vornahme der PID verpflichtet werden, soll aber daraus auch keinen Nachteil erleiden, und Absatz 6 sieht eine Art von Monitoring der PID durch die Bundesregierung vor, indem die Erfahrungen damit auf der Grundlage der durchgeführten Fälle ausgewertet werden.

Schließlich bestimmt Artikel 2 des PräimpG kein konkretes Datum seines Inkrafttretens. Damit tritt das Gesetz vierzehn Tage nach Ausgabe des Bundesgesetzblatts in Kraft. Das war der 8.12.2011.

Es ist natürlich gegenwärtig noch viel zu früh, die jetzt gefundene Regelung der PID im einzelnen und abschließend zu bewerten. Ob mit der Regelung einer Manipulation werdenden menschlichen Lebens Tür und Tor geöffnet wird, muss sich erst zeigen und wird maßgeblich davon abhängen, wie die Begriffe einer „schwerwiegenden Erbkrankheit“ und einer „schwerwiegenden Schädigung des Embryos“ im Absatz 2 des neuen § 3a ESchG in der Praxis definiert werden – und wie die von der Bundesregierung zu erlassende Rechtsverordnung ausgestaltet ist.  Noch ist die PID jedenfalls ein Randphänomen: derzeit ist von sechs Schwangerschaften in Deutschland die Rede, bei denen vor Einpflanzung des Embryos diese Technik durchgeführt wurde.

Wolfgang Vog