Man kennt den Dreisprung „gut gemeint – gut gemacht – gut“, und nicht immer gelingt es, vom gut gemeint beim gut anzukommen.

Irmgard Schürgers packt in ihren Krimi „Kaltherz“ die Situation von geistig Behinderten in einem fiktiven, doch der Realität nachempfundenen Frankfurter Heim, den anscheinenden Erfrierungstod eines dieser Behinderten, der aber vielleicht doch kein Unfall war, das offensichtlich gewaltsame Ableben des Heimleiters, alltägliche Polizeiarbeit, Frauendiskriminierung auf dem Revier, die Frankfurter Schwulenszene, Probleme eines jungen Paares und noch so mancherlei.

Die Autorin hat sich da zu viel vorgenommen. Als Frankfurter Stadtroman atmosphärisch dicht, als Schilderung von geistig Behinderten präzise, wohlwollend, anregend, in der wörtlichen Übernahme von sehr poetischen Texten des behinderten Künstlers, der sich selbst Selbermann nennt, außerordentlich eindrucksvoll, als Spiegelung von Vorurteilen gegenüber geistig Behinderten genau und auch als Schilderung des Lernprozesses, wenn man mit ihnen zu tun hat. Das ist nicht nur gut gemeint, das ist wirklich gut. Auch die Beschreibung der Frankfurter Schwulenkneipen „passt“. Als Polizeiroman ist das allerdings nicht extrem spannend, recht früh kommt die Lösung auf. Und in der Personenschilderung bleibt die Autorin eindimensional: Die „Guten“ sind gut, die „Bösen“ von vornherein unsympathisch. Wenigstens wird die Muffeligkeit eines Polizei-Kollegen der ermittelnden Kommissarin mit seinen persönlichen Problemen erklärt.

Dieser Roman leidet am Tatort-Syndrom: Es wird alles Mögliche hineingesteckt. Dass klar herauskommt, sexueller Missbrauch an geistig Behinderten ist ebenso ein Verbrechen wie an Kindern, ebenso verabscheuungswürdig, das ist in Ordnung.

Aber wenn dann die Mutter des Täters von vornherein und ausschließlich negativ gezeigt wird und eben nicht selbst als Opfer, sondern lediglich als schwache Alkoholikerin, ihr Sohn bloß fies und brutal, der Sowohl-Täter-als-auch-Opfer Heimleiter schwach und intrigant, wenn schließlich die ermittelnde Polizistin, kaum, dass ihr Freund einmal von Behinderten als „Mongos“ gesprochen hat, sich rasch einem verständnisvollen und außerdem noch attraktiven Psychologen zuwendet, da hat der Creative-Writing- Kurs der Autorin offenbar voll durchgeschlagen. Ein bisschen Sex kann in einem Krimi nicht schaden, das lockt das Publikum, mag man ihr erklärt haben. Die Autorin landet bei einer überholten Moral auf der Stufe von Agatha Christie: Sie ergeht sich mitsamt den Ermittlern in Abscheu über die „Perversitäten“ der Schwulen (wobei diese nicht weiter definiert werden), die Bösen sind a priori böse, das Weltbild steht fix und fest. Vielleicht nicht explizit, aber latent schwulenfeindlich ist dieser Krimi jedenfalls. Vielleicht ist das eine logische Folge, wenn eine 64jährige Dame Kriminalromane zu schreiben beginnt, aber mit der Lebenswirklichkeit hat es nicht viel zu tun. Müssen Leute, die ihre Kreativität im Alter entfalten wollen, tatsächlich dafür an die Universität und in spezielle Kurse gehen? Und sollten sie die Resultate um jeden Preis veröffentlichen?

Irmgard Schürgers, „Kaltherz“, Kriminalroman, UniScripta Verlag, 188 Seiten, € 9,80

Jürgen Walla