Ich wollte am 26.01.07, begleitet von meinem Assistenten, mit einem Eurocity am frühen Abend von Kaiserslautern über Mannheim nach München Pasing fahren. Da ich wegen einer Halsquerschnittslähmung auf einen Rollstuhl angewiesen bin, wurde in Mannheim der Mobilitätsdienst der Bahn mit dem Auftrag einer Umstiegshilfe verständigt.

In Mannheim waren auch zwei Damen von der Bahn am Bahnsteig. Da der Aufzug kaputt war und auch nach Versuchen der beiden Bahnangestellten (Tür Öffnen, Drücken verschiedener Tasten) nicht lief, wurde beratschlagt, was zu tun sei. Überlegungen, mich über die Treppe zu transportieren, erwiesen sich als nicht möglich, da ich zu schwer sei. Es wurde ein Mann des Mobilitätsdienstes verständigt. Da bei ihm ein Rückenleiden bekannt war, war der Weg über die Treppe wiederum verwehrt.

Als dieser Herr jedoch eintraf, schnappte er sich mich in meinem Rollstuhl kommentarlos und spurtete los. Mein Assistent hätte, da er im Umgang mit dem Rollstuhl und mit mir im speziellen sehr geübt ist, gern den Stuhl selbst geschoben. Dies war ihm durch die wortlose und überhastete Art des Angestellten aber nicht möglich. Er konnte mit dem Gepäck kaum folgen. Ich wurde vom Bahnsteig zu den Gleisen und in den für Nichtbahnangestellte gesperrten Schienenbereich gebracht. Dort befand sich ein Schienenübergang aus Holz. Als ich bemerkte, dass der Bahnangestellte keinerlei Anstalten machte, den Rollstuhl zu kippen, (was bei einem Überqueren von Gleisen, Rillen, Kanten u.s.w. aufgrund der kleinen Vorderräder meines Rollstuhles unbedingt erforderlich ist und in einem adäquaten Rollstuhltraining als eine der wichtigsten Techniken vermittelt werden muss) versuchte ich erst ruhig, dann mit "Stopp, stopp, kippen" schreiend den Bahnangestellten zum Stehenbleiben zu bewegen. Da der Angestellte nicht reagierte, blockierten die Vorderräder des Stuhles, da sie sich in den Schienen verfingen. Ich kippte vorwärts auf die Schienen. Meinem Assistenten fiel die komische Stellung meines linken Beines sofort auf. Doch bevor er dazu etwas sagen und das Bein näher untersuchen konnte, forderte der Angestellte ihn hektisch auf, mich zusammen mit ihm sofort von den Gleisen zu entfernen, da jeden Moment ein Zug komme. Panisch und mit - ihrer Gefühlslage entsprechend - geringer Umsicht zerrten die beiden mich in Todesangst vom stockdunklen Gleis. Auch forderte der Angestellte meinen Assistenten auf, Gepäck und Rollstuhl zurückzulassen. Nur weil dieser Zug Verspätung hatte, konnte er diese Dinge später bergen. Ich war durch diese lebensbedrohende Aktion teilweise entkleidet und wartete frierend auf dem Boden bei Eiseskälte auf Rettung. Per Walkie-talkie bat der Angestellte um Hilfe und es traf ein weiterer Herr ein, mit dessen Unterstützung es dann gelang, mich wieder in den Stuhl zu setzen. Notdürftig kleidete mich mein Assistent in der Dunkelheit wieder an. An dieser Stelle sei bemerkt, dass ich aufgrund meiner Halsquerschnittslähmung über keinerlei Sensibilität in meinen Beinen verfüge (und also auch keinen Schmerz empfinden kann). Dann wurde ich zum Zug gebracht. Erst beim Einsteigen wurde ich darauf hingewiesen, dass dieser Vorfall eigentlich sofort an Ort und Stelle in Mannheim gemeldet werden müsste. Da alle Beteiligten unter schwerem Schock standen, wollten mein Assistent und ich nur noch so schnell wie möglich nach München.

Bei der Ankunft in München Pasing wurden wir von einem Assistenten meiner Freundin abgeholt, die selbst eine Querschnittslähmung hat. Daher ist ihr Auto (Mercedes Sprinter) für den Transport von Rollstuhlfahrern umgebaut und ich musste nach dem Unfall in Mannheim nicht mehr umgesetzt werden.

Bei meiner Freundin zuhause angekommen, wurde ich ins Bett gebracht und nach dem Entkleiden vermutete meine Freundin (diplomierte Krankenschwester und Sozialpädagogin) einen Bruch des Oberschenkels.

Der sofort alarmierte Rettungsdienst bestätigte diesen Verdacht und ordnete eine Überstellung ins Kreiskrankenhaus Pasing an. Da der Aufzug des Hauses meiner Freundin für einen Liegendtransport nur unter Benützung eines Schlüssels für eine Spezialtür im Aufzug ausgerichtet ist und dieser vom Hausmeister nicht um diese Uhrzeit besorgt werden konnte, musste zum liegenden Abtransport über die Treppe die Feuerwehr München zugezogen werden (3.Stock).

Im Kreiskrankenhaus Pasing wurde durch Röntgen der Verdacht auf eine Fraktur bestätigt, die dort chirurgisch versorgt wurde. Erschwert wurde die Behandlung durch eine starke Bronchitis infolge des langen Liegens auf dem eiskalten Gleisbett. Nach einem einwöchigen Aufenthalt mit Komplikationen auf der Intensivstation konnte ich dann auf die Normalstation verlegt werden.

Geschwächt durch die lange Krankheit stimmte ich einem Vergleich zu; eine ernstzunehmende Entschuldigung seitens der Bahn ist bis heute nicht erfolgt.

Raimund Rudolph

Anmerkung der Redaktion:
Die Geschichte ist haarsträubend schrecklich und spricht für sich. Aber vielleicht wäre es günstig, bei solchen Unternehmungen vorsorglich einen Sicherheitsgurt zu tragen. Man weiß ja nie!