Traditionellerweise wird die römische Göttin iustitia als Wahrzeichen der Justiz mit Augenbinde, Waagschale und Richtschwert dargestellt, wobei ersteres Symbol Ausdruck dafür sein soll, dass Recht ohne Ansehen der Person gesprochen wird.

Größere Schwierigkeiten scheint man jedoch vielerorts zu haben, wenn der entscheidende Richter selbst blind ist. Während blinde Protokollkräfte auch bei Oberlandesgerichten längst nichts außergewöhnliches mehr sind und blinde Professoren bereits vor Jahrzehnten auch auf dem Feld der Rechtswissenschaften lehrten, hat man immer noch Schwierigkeiten, als Blinder Richter zu werden: so wurde eine blinde Juristin aus Kärnten im Jahre 2002 erst gar nicht zur Richterprüfung zugelassen und aktuell diskutiert man in Österreich trotz zwischenzeitlicher Gesetzesänderung durch Verabschiedung eines Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetzes den Fall einer Innsbrucker Aspirantin, wobei sich widersinniger Weise die Gewerkschaft österreichischer Richter und Staatsanwälte kritisch hinsichtlich deren Eignung geäußert hat. Doch verbietet sich ein selbstgefälliges Zurücklehnen auch hierzulande, wenn man an die erfolglose Bewerbung einer blinden Berliner Volljuristin als Strafrichterin in Moabit denkt.

Allerdings scheint die grundsätzliche Einstellung zu blinden Richtern in Deutschland differenzierter zu sein: während die Blindheit per se noch keinerlei Auswirkungen auf die auch gesundheitliche Eignung eines Bewerbers zum Richteramt hat und konsequenterweise blinde Richter sich in allen Bereichen vom Zivil- bis zum Verwaltungsrecht und auch bei den obersten Gerichten finden ließen oder lassen, diskutiert man eine Mitwirkung blinder Richter im Strafverfahren auch in der Rechtsprechung äußerst kontrovers: zwar können blinde Richter keine Vorsitzenden einer erstinstanzlichen Hauptverhandlung sein; inwieweit blinde Richter aber ansonsten im Strafverfahren mitwirken dürfen, bleibt unsicher. Da im Falle erforderlicher Augenscheinnahmen ein bereits begonnenes Verfahren platzen würde und dies dem Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren widerspräche, wurden vielerorts blinde Richter außerhalb der Strafrechtspflege im engeren Sinn eingesetzt. Allerdings macht es einen grundlegenden Unterschied, ob ein blinder Richter auf Grund widerstreitender Verfassungsgrundsätze für bestimmte Aufgaben der Rechtspflege nicht eingesetzt oder aber einem blinden Juristen allein wegen seiner Blindheit die Eignung zum Richteramt abgesprochen wird.

Vor dem Hintergrund der jüngst erfolgten Gesetzesänderung sollte einer Ernennung der blinden Österreicherin zur Richterin jedoch nichts im Wege stehen und eine Ablehnung notfalls unter Berufung auf Europarecht erkämpft werden.

Wolfgang Vogl