Ein Ferienaufenthalt im von Bergen umgebenen Bad Reichenhall bietet auch einer Rollstuhlfahrerin erhabene Eindrücke, wenn, ja wenn das Auto mitmacht. Wenn aber nicht – dann...

Unsere Tischnachbarn hatten meiner Freundin Monika und mir beim Frühstück erzählt, dass man mit dem Auto zu einem Berggasthof fahren und dann mit dem Rollstuhl auf einem beinahe ebenen Weg auf halber Höhe – das herrlichste Panorama im Blick – weit, ganz weit entlanglaufen könne. Das wollten wir probieren.

Auf der serpentinenreichen Straße dorthin, gab das Auto plötzlich beängstigende Geräusche von sich, sodass wir gezwungen waren, in einer glücklicherweise gut einsehbaren Kurve anzuhalten. Zwei andere Autofahrer stoppten ebenfalls sofort, als sie Monika hilflos neben dem Auto stehen sahen. Einer schaute in die Motorhaube und stellte fest, dass sich vom Keilriemen ein Streifen abgelöst und an die umliegenden Teile des Motors geschlagen hatte. Von daher das beunruhigende Geräusch. „Jetzt brauche ich ein Messer, dann schneide ich das losgelöste Stück ab und Sie können um die Kurve fahren. 300 Meter weiter gibt es eine kleine Parkbucht. Da können Sie dann den ADAC rufen“. Aber wer hat ein Messer? Keiner! Wir hielten ein Auto an. Sofort stoppten drei. Schließlich fand sich ein Messer im Auto unseres Helfers – sein Kind hatte es entdeckt: „Papa mia ham doch a Messa!“. Er schnitt das hinderliche Stück ab. Wir fuhren zu besagtem Parkplatz und riefen den ADAC. Ich machte die Sache dringend – es sei ja wohl nur der Keilriemen und ich sei Rollstuhlfahrerin usw. Sie würden sich sofort darum kümmern, meinte die Dame am Telefon.

Wir warteten. Die Luft war warm und das Wetter freundlich. Die Berge ringsum gewaltig und der Himmel vorbildlich weiß und blau – wenn nur das kaputte Auto nicht gewesen wäre! Da hielt ein Motorradfahrer auf unserem Parkplatz, machte es sich an dem Grashang bequem und aß seine Brotzeit. Nach einer Zeit des sich gegenseitigen Anschweigens fragte er:
„Haben Sie Probleme?“ Wir bejahten und er schaute ebenfalls in die Motorhaube.
„Das ist der Keilriemen“, stellte auch er fest, „mit dem kommen Sie aber leicht noch bis Reichenhall!“ Wir erzählten ihm, dass der ADAC schon gleich da sei und wenn der den Wagen reparierte, dann wäre das doch sicherer. Er nickte und wartete mit uns. Bald danach kam anstatt eines Reparaturfahrzeugs des ADAC ein Abschleppwagen. Der ließ sofort seine Ladefläche herunter. Wir protestierten. Was denn mit mir sei, wenn er das Auto anstatt es zu reparieren einfach mitnehmen
würde? Ich müsse eben mit dem Taxi nach Reichenhall fahren. Das könne ich nicht, ich bräuchte dann ein Rollstuhltaxi.
Ja, da könne er dann auch nicht helfen, so kämen wir jedenfalls auf keinen Fall nach Reichenhall. „Doch“, mischte sich der Motorradfahrer ins Gespräch. „Nein“, sagte der Abschleppmann. Wir sagten gar nichts mehr. Da schlug der Motorradfahrer vor, er würde uns nach Reichenhall begleiten und wenn unterwegs noch einmal etwas passieren sollte mit dem Keilriemen, dann würden wir weitersehen. Dieses großzügige Angebot haben wir aufatmend angenommen. Nach etwa zwei Kilometern – der Motorradfahrer fuhr voraus – so langsam wie an diesem Tag war er wahrscheinlich noch nie im Leben
gefahren und ich war noch nie wie ein Staatspräsident von einem Motorradfahrer eskortiert worden! – nach kurzer Zeit also, krachte es und der Keilriemen hatte den nächsten Streifen abgespalten. Wir hielten, der Motorradfahrer lief zu einem Bauernhof. Dort schenkten sie ihm ein Messer und gaben ihm die Telefonnummer der Werkstätte in Reichenhall. Was dringend nötig war, denn es war schon kurz nach vier Uhr und die Werkstätte würde sicherlich um fünf schließen. „Das schaffen wir“, versicherte der Motorradfahrer. Wir hofften dringend, dass er recht behielt. Und so war es, wir erreichten rechtzeitig die Werkstätte, er stieg vom Motorrad, ging geradewegs auf den Meister zu, dirigierte ihn zu
unserer Motorhaube, deutete auf den Keilriemen und sagte: „Einen solchen brauchen wir!“ Damit erzielte er einen durchschlagenden Erfolg und in etwa fünfzehn Minuten hatten wir unseren neuen Keilriemen.

Fazit:

  1. Ich habe den ADAC bisher immer als hilfreich erlebt. Diesmal war er es nicht.
  2. Ich habe Motorradfahrer bisher immer für eine Art hochgefährlicher Geschosse gehalten, die, einem einen höllischen Schrecken einjagend, auf einen zurasen, um wie ein Phantom in der Ferne zu verschwinden. Jetzt glaube ich, dass sie eine Art verkappter Engel sind, die nur ihre Flügel nicht immer herzeigen wollen.
  3. Man sollte immer einen kundigen Mann dabeihaben, wenn man in eine Werkstätte fährt.
  4. Der Berggasthof heißt Zipfhäusl und von ihm aus führt ein wirklich fast ebener Weg den Bergrücken entlang. Gegenüber liegen drei imposante Bergmassive, auf die man einen wunderbaren Blick hat. Am nächsten Tag haben wir es nämlich tatsächlich bis dahin geschafft!
Ingrid Leitner