Wie in der Clubpost zur Jahreswende angekündigt, werden wir in diesem Jahr öfter das Thema Teilhabe in verschiedenen Lebensbereichen in den Blick nehmen. 10 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention sind Anlass genug, die Herausforderungen dieses Regelwerkes im Hinblick auf die konkreten Lebenswirklichkeiten von Menschen mit Behinderung zu spiegeln.
Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention behandelt den Aspekt der Teilhabe und Einbeziehung in die Gemeinschaft im Hinblick auf eine selbstständige Lebensführung und das Wohnen von Menschen mit Behinderung.
Dabei sollen Sie die Möglichkeit haben, Ihren Aufenthaltsort frei zu wählen und zu entscheiden, mit wem Sie zusammenleben wollen, ohne verpflichtet zu sein, in besonderen Wohnformen zu leben. Sie sollen aus verschiedenen gemeindenahen Unterstützungsdiensten wählen können, wen Sie in welcher Weise mit ihrer Versorgung beauftragen - einschließlich der Möglichkeit, dies durch eine persönliche Assistenz zu organisieren.
Das Bundeskabinett hat hierzu am 03. August 2011 im 1. Staatenbericht Maßnahmen aufgelistet, die angetan sein sollen, diese Ansprüche in Deutschland einzulösen. Dem gegenüber deckt der UN-Fachausschuss vom 13. Mai 2015 in seinen abschließenden Bemerkungen zu diesem Bericht eine ganze Reihe von Problemen auf, benennt Kritikpunkte und formuliert Empfehlungen an die Regierung. Das alles. auf der Grundlage von verschiedenen Parallelberichten der Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderung. Insbesondere wird dabei der Besorgnis Ausdruck verliehen, dass es zunehmend einen Mangel an alternativen Wohnangeboten und einer barrierefreien Infrastruktur zu den überwiegend institutionalisierten Wohnformen gibt. Das Recht, mit einem angemessenen Lebensstandard in der Gemeinschaft zu leben, ist insoweit beeinträchtigt, als der Zugang zu Leistungen und Unterstützungsdiensten einer Bedürftigkeitsprüfung unterliegt, also vom Einkommen und Vermögen der Leistungsberechtigten abhängt. Erschwert wird die Einlösung der Ansprüche noch durch den im Sozialgesetzbuch geregelten sogenannten Mehrkostenvorbehalt. In ihm ist geregelt, dass die Kosten für die ambulante Versorgung nur dann übernommen werden, wenn diese Leistungen nicht mit „unverhältnismäßigen Mehrkosten“ gegenüber einer „zumutbaren“ stationären Leistung (z. B. durch Heimunterbringung) verbunden sind. Was „zumutbar“ und „unverhältnismäßig“ ist, bestimmt der Kostenträger – ein klarer Verstoß gegen die Vorgaben der Behindertenrechtskonvention! Zudem fehlt es nach wie vor an geeigneten Informations- und Beratungsangeboten, die beispielsweise über die Möglichkeiten eines Persönlichen Budgets als Leistungsform aufklären. Die Scheu vor bzw. die fehlende Kraft für langwierige Auseinandersetzungen verstärken die Wahrscheinlichkeit der Betroffenen, in ungeeignete und nicht dem eigenen Wunsch entsprechende Wohnformen gedrängt zu werden.
Auch das am 23. Dezember 2016 erlassene Bundesteilhabegesetz (BTHG) bringt längst nicht die geforderten Veränderungen, die für eine Gleichstellung von Menschen mit Behinderung nötig wären. So bleibt der Mehrkostenvorbehalt im Gesetz bestehen und kann nur dann überwunden werden, wenn die betroffene Person nachweist, dass ein fremdbestimmtes Leben in einer Einrichtung für sie unzumutbar ist. Im BTHG ist weiterhin geregelt, dass in bestimmten Lebensbereichen das sogenannte "Zwangspoolen" angewendet werden darf. Das bedeutet, dass sich Menschen mit Behinderung eine Assistenzkraft teilen müssen. Zu befürchten ist weiterhin, dass die Schlechterstellung von Bewohner*innen im stationären Bereich durch die Deckelung der Leistungen der Pflegeversicherung auch auf ambulante Wohnformen angewendet wird. Ebenfalls nur in Ansätzen ist dem Anspruch Rechnung getragen worden, behinderungsbedingte Aufwendungen einkommens- und vermögensunabhängig zu decken. Dass mehr Vermögen angespart werden darf und die Einkommensanrechnung erleichtert wurde, bedeutet noch lange keine Gleichstellung.
Wie sich die Lebensführung eines Betroffenen noch in den 50-er-Jahren des letzten Jahrhunderts gestaltete, entnehmen Sie dem nachfolgenden Artikel unseres Vorstandsmitgliedes Wolfgang Vogel. Er rezensiert anhand eines Ausschnittes das Buch „Mitten im Leben und nicht am Rand“ von Eberhard Geisler, worin eindrücklich und zugleich augenzwinkernd dessen Lebensgeschichte dargestellt wird.
Peter Pabst
Unabhängige Lebensführung und selbstbestimmtes Wohnen: Anspruch und Realität
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