Arbeit ist mehr als eine Beschäftigung, damit keine Langeweile aufkommt. Sie ist auch mehr als reiner Broterwerb, so wichtig das Geldverdienen auch sein mag. In unserer Gesellschaft ist Arbeit eben auch eine Art "Eintrittskarte" in die Gesellschaft: Gesellschaftliche Akzeptanz („Anerkennung“) wird maßgeblich durch die Teilhabe am Arbeitsmarkt bestimmt: Sie zeigt, dass man etwas leisten kann; sie vermittelt das Gefühl, gebraucht zu werden, nicht überflüssig zu sein. Sinnvolles und zielgerichtetes Tätig-Sein hat für jeden Menschen einen hohen Stellenwert. Um einen Ausdruck von Klaus Dörner (*) zu verwenden: Arbeit befriedigt das grundsätzliche Bedürfnis eines jeden Menschen, „Bedeutung für Andere“ zu haben, „notwendig zu sein.“ Die UN-Behindertenrechtskonvention (§27 (1)) sieht für Menschen mit Behinderungen daher das gleiche Recht auf Arbeit vor wie für Menschen ohne Behinderungen. Folgerichtig fordert sie die Öffnung des ersten („allgemeinen“) Arbeitsmarkts für Menschen mit Behinderungen, und zwar unabhängig von der Schwere der Behinderung.
Struktur des Arbeitsmarktes.

Generell lassen sich zwei Arbeitsmärkte unterscheiden:
  • Erster Arbeitsmarkt. Das ist der „reguläre“ oder „normale Arbeitsmarkt“: Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse werden hier von Arbeitgebern und Arbeitnehmern frei und ohne besondere Fördermaßnahmen vereinbart. Allerdings umfasst der erste Arbeitsmarkt mit den Integrationsfirmen auch einen „geschützten“ Bereich. In diesen Betrieben ist ein Viertel bis die Hälfte der Beschäftigten schwerbehindert – in der Mehrzahl handelt es sich um Personen mit psychischen Störungen oder körperlichen Behinderungen. Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten hier gleichberechtigt zusammen. Gezahlt werden tarifliche Löhne. Die Arbeitgeber erhalten öffentliche Fördermittel. Die Zahl dieser Arbeitsplätze ist allerdings gering. In München gibt es nur etwa 1.000 solcher Arbeitsplätze – für Menschen mit und ohne Behinderungen.
  • Zweiter Arbeitsmarkt. Dieser Arbeitsmarkt umfasst alle staatlich bzw. öffentlich geförderten Arbeitsverhältnisse und Arbeitsgelegenheiten. Mit ihm wird das Ziel verfolgt, Arbeitslosigkeit zu verringern und den von Arbeitslosigkeit betroffenen Personen den späteren Übergang in den normalen ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Zum zweiten Arbeitsmarkt gehört auch die Beschäftigung in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Diese richten sich an behinderte Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt -  trotz aller personellen, technischen und finanziellen Hilfen - aufgrund der Art oder Schwere ihrer Behinderung (noch) nicht unterkommen können. Werkstätten sind für die dort Beschäftigten in der Regel bislang allerdings „Einbahnstraßen“: Die Übergangsquoten von den WfbM auf den ersten Arbeitsmarkt liegt bundesweit unter 1%. Modelle wie ACCESS in Erlangen zeigen aber, dass durch intensive Arbeitstrainings viele Werkstattbeschäftigten ohne größere Probleme auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden könnten. Es ist daher zu hoffen, dass mit dem „Budget für Arbeit“ (siehe unten) die Übergangsquoten in Zukunft ansteigen werden.

Arbeitsmarktsituation von Menschen mit und ohne Behinderung.
Grundsätzlich sind alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen gefordert, wenigstens fünf Prozent davon mit Menschen mit Schwerbehinderung oder ihnen Gleichgestellte zu besetzen (§ 71 SGB IX). Für jeden nicht entsprechend besetzten Pflichtarbeitsplatz ist eine Ausgleichsabgabe zu zahlen, deren Höhe sich nach der Zahl der besetzten Pflichtarbeitsplätze richtet. Zwar wurde Ende 2015 mit Blick auf München diese vom Gesetzgeber vorgesehene Pflichtquote von 5,0% mit 4,8% fast erreicht – aber nur dank des besonderen Engagements der öffentlichen Arbeitgeber (5,9%). Private Arbeitgeber verfehlten mit einer Beschäftigungsquote von 4,2% hingegen weiterhin klar das Ziel. Zwischen den privaten Betrieben zeigen sich dabei große Unterschiede. Eine 2013 vorgelegte Studie belegt, dass etwa ein Drittel aller Münchner Betriebe mit mindestens 20 Arbeitsplätzen überhaupt keine Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigt.
Dieselbe Untersuchung zeigt, dass nur etwa die Hälfte der in München lebenden Personen mit anerkannter Schwerbehinderung (im erwerbsfähigen Alter) erwerbstätig ist. Bei Menschen ohne Behinderungen lag die Quote damals bei knapp 80%. Umgekehrt hatten Frauen und Männer mit einer anerkannten Schwerbehinderung ein über doppelt so hohes Risiko, arbeitslos zu sein, wie die Personen ohne Handicap.
Einstellungshemmnisse. Geht es der Wirtschaft gut, findet man auch Arbeit. Diese „Gleichung“ gilt gerade für Menschen mit Handicap nur bedingt. Betroffene Männer und Frauen sehen sich einer Vielzahl von Beschäftigungshemmnissen gegenüber:
  • Mangelhafte schulische Inklusion. Statistiken belegen, dass Menschen mit Behinderungen über tendenziell schlechtere schulische und berufliche Abschlüsse verfügen als Personen ohne Handicaps. Die frühzeitige Ausgrenzung von vielen Kindern mit Behinderungen aus dem Regelschulsystem in das Förderschulsystem spielt hier eine entscheidende Rolle.
  • Struktur der Arbeitswelt. Die mangelhafte inklusive Öffnung der Schulen wiegt umso schwerer als in der Arbeitswelt die Anforderungen an die Beschäftigten ständig ansteigen. Zudem werden gerade in kleinen Betrieben oft Generalisten gesucht, die ein breites Spektrum an Tätigkeiten leisten können. Hinzu kommt, dass die Zahl von Einfacharbeitsplätzen seit Jahren sinkt. Die Möglichkeit, Arbeitsplätze auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung zuzuschneiden, wird von den Arbeitgebern viel zu selten in Betracht gezogen bzw. scheitert aus Kostengründen. Der geringe Ausbau des Instruments der „Arbeitsassistenzen“ (siehe unten) kommt hinzu.
  •  Vorbehalte. Die mangelhafte Bereitschaft, Jugendliche mit Schwerbehinderung betrieblich auszubilden bzw. Menschen mit Handicap einzustellen, spiegelt aber auch Vorbehalte auf Seiten vieler Betriebe wider: Ängste, sich mit dem Thema „Behinderung“ auseinanderzusetzen, spielen hier ebenso eine Rolle wie fehlende Informationen. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen kennen die bestehenden staatlichen Fördermöglichkeiten nicht ausreichend. Zudem werden die gesetzlichen Auflagen, die mit der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung verbunden sind, immer wieder falsch eingeschätzt (vor allem hinsichtlich des Kündigungsschutzes). Kleinere Betriebe befürchten oft arbeitsrechtliche Probleme und wirtschaftliche Nachteile (höherer Krankenstand, zusätzlicher Urlaubsanspruch von Menschen mit Behinderung).
  • Bedenken bei Betroffenen. Seitens der Betroffenen kommen immer wieder Hemmungen, sich überhaupt zu bewerben, Informationsdefizite über Arbeitsmöglichkeiten sowie Mobilitätseinschränkungen hinzu. Oft herrscht aber auch Angst, beim Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt unter Umständen den Anspruch auf einen Werkstattplatz zu verlieren.
Ansätze & Instrumente.
Ein zentrales Instrument, um die Arbeitsteilhabe von Menschen mit erheblichem Unterstützungsbedarf zu sichern, ist die Arbeitsassistenz als arbeitsplatzbezogene Unterstützung. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer kann die Assistenzkraft dabei selbst einstellen (Arbeitgebermodell) oder einen Anbieter von Assistenzdienstleistungen auf eigene Rechnung mit der Arbeitsassistenz beauftragen (Auftrags- oder Dienstleistungsmodell). Genehmigungsfähig ist eine Arbeitsassistenz aber nur, wenn weder die behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung noch eine vom Arbeitgeber bereitgestellte Unterstützung (z.B. durch Arbeitskollegen) für die angemessene Arbeitsausführung ausreichend sind. Die entsprechende Geldleistung kann gegenüber Rehabilitationsträgern oder den Integrationsämtern geltend gemacht werden. Die Zahl der genehmigten Arbeitsassistenzen ist aber weiterhin sehr gering: Bundesweit erhielten 2016 nur knapp 3.700 Personen von den Integrationsämtern ein Budget für Arbeitsassistenz.
Seit dem 1.1.2018 haben nun auch Menschen mit Behinderungen, die als „werkstattbedürftig“ gelten, ausdrücklich einen gesetzlichen Anspruch auf die Finanzierung entsprechender Assistenzleistungen („Budget für Arbeit“). Voraussetzung ist allerdings, dass den Betroffenen ein Beschäftigungsverhältnis auf dem ersten Arbeitsmarkt angeboten wird. Die Arbeitgeber ihrerseits erhalten über das Budget dauerhaft einen Lohnkostenzuschuss von bis zu 75 Prozent des gezahlten Lohnes.

Andreas Sagner

(*) Klaus Dörner2007: Leben und sterben, wo ich hingehöre. Dritter Sozialraum und neues Hilfesystem. Neumünster: Paranus-Verlag, S. 76.