Musik macht vieles leichter: Münchner Chor fragt nicht nach Handicaps

Heute ist Wunschkonzert. Und das Schönste ist, dass alle gleich selber singen können, was sie sich wünschen. Wunsch Nr. 1: der „Lachkanon“. Vielstimmig tönt es im Gemeindehaus der Lutherkirche München: „Ha-ha-ha! Liebe Freunde, wer ist glücklicher als wir?“Im Chor „Singen ohne Barrieren“ sind viele Menschen, die nicht immer Glück im Leben haben. Es ist ein besonderer Chor für besondere Menschen.

„Ich bin gerne hier, ich brumme gerne mit“, sagt eine der Chorsängerinnen. Wie sie heißt und welches Handicap ihr das Leben manchmal schwer macht, spielt keine Rolle. Die anderen nicken zustimmend, beim „Singen ohne Barrieren“ sind alle willkommen, egal, ob sie seelisch oder körperlich beeinträchtigt sind. Vor der Chorprobe werden die Stimmen erst einmal bei Kaffee und Kuchen auf Betriebstemperatur gebracht. Bald wird lebhaft an den Tischen gesprochen, die letzten Berührungsängste verschwinden. Chorgründerin und VdK-Mitglied Marion Geiger freut sich über den großen Zulauf. Nach der letzten Chorprobe haben wieder viele bei ihr angerufen und sich für den Nachmittag bedankt. „Herausgeschwebt“, sei sie, hat eine Mitsängerin gesagt. Marion Geiger kann das gut nachvollziehen: „Musik war auch meine Rettung.“ Damals, als klar wurde, dass sie wegen ihrer MS-Erkrankung (Multiple Sklerose) irgendwann nicht mehr arbeiten und gehen können wird, wollte sie etwas finden, das sie ablenkte. Also lernte sie mit 30 Jahren noch ein Instrument: „Klarinette, ich wollte ein leichtes Instrument, mit dem ich auch in späteren Stadien meiner Erkrankung noch klar komme.“ Schwerer als das Gewicht des Instrumentes war das Musizieren damit. Aber sie hat es geschafft, gehört heute zu einem Kirchenorchester. „Selbst Musik zu machen“, schwärmt sie, „ist eine großartige Erfahrung. Bei mir reaktiviert es alte Nervenmuster, ich vergesse meine Schmerzen, kann entspannen und fasse wieder Selbstvertrauen.“

Diese Erfahrung können derzeit ihrer Meinung nach aber noch viel zu wenige machen: „Versuchen Sie doch mal als Rolli-Fahrer einen Chor zu finden, der Sie aufnimmt.“ Oft scheitert es an den Räumlichkeiten, sowohl für die Chorproben als auch für die Auftrittsorte. Und viele Chorleiter können sich nicht einmal vorstellen, dass man im Sitzen „ordentlich“ singen kann. Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen haben oft ein anderes Problem, denn sie sind häufig damit überfordert, vor der Aufnahme in den Chor erst einmal vorsingen zu müssen. Beim „Singen ohne Barrieren“ ist das anders, hier muss sich niemand Sorgen machen. Es gibt keine Voraussetzungen und keinen Stress, die selbstverständlich barrierefreien Räume stellt die Gemeinde kostenlos zur Verfügung. „Einfach raus aus den vier Wänden, rein in eine flotte und gesellige Runde“, beschreibt Marion Geiger das Motto.

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Barrierefreie Auftrittsorte

Professionelle Unterstützung kommt von Chorleiterin Dorothea Leberfinger, der Kantorin der Lutherkirche, die sich hier ehrenamtlich engagiert. Sie stellt die Musikstücke zusammen, begleitet mit Klavier oder dirigiert und wirbelt dazwischen, wenn der Kanongesang aus einer Ecke zu dünn zu werden droht oder nicht die richtigen Stimmlagen zusammensitzen. „Aber“, beruhigt die Kantorin, „ich wähle nicht zu schwierige Stücke aus, meist Kanons, Volkslieder, Gospels oder einstimmige Stücke.“ Trotzdem, die Konzentration ist zu spüren. Die erfahrene Chorleiterin weiß: „Man muss sich Ziele setzen, also irgendwann auf einen bestimmten Auftritt hinarbeiten.“ Und Marion Geiger ergänzt: „In einem Jahr wollen wir eine feste Institution sein.“ Als Auftrittsorte stellt sie sich zum Beispiel Krankenhäuser und Seniorenheime vor: „Die sind wenigstens barrierefrei.“ Im Moment plant sie eine Vereinsgründung: „Aktiv mit Handicap“. Durch die Beiträge der Fördermitglieder möchte sie die Unkosten für Kopien, Kaffee, Kuchen oder Heizung decken und langfristig noch mehr für Menschen mit Behinderung auf die Beine stellen: „Ich habe noch viele Ideen!“ Wer mitmachen will beim „Singen ohne Barrieren“ ist herzlich eingeladen, es werden Mitsängerinnen und -sänger zwischen 20 und 60 Jahren gesucht.

Derzeit probt der Chor einmal monatlich im Gemeindehaus der Lutherkirche (Weinbauernstraße 9, 81539 München, U2 Silberhornstraße).
Die nächsten Termine:
Samstag, 16. April 2011 und
Samstag, 21. Mai 2011.

Nähere Informationen erhalten Sie bei Marion Geiger unter Telefon (089) 2016580 oder im Internet unter www.ms-chor.de.

Dr. Bettina Schubarth