Die städtische Elektromobil-Ausleihe am Tierpark Hellabrunn
Zusammenfassung

Allen pandemie-bedingten Einschränkungen zum Trotz ging Anfang August 2020 die Ausleihstation für Elektromobile am Flamingo-Eingang des Münchner Tierparks an den Start. Damit sollte insbesondere gehbehinderten Besuchern ein Besuch des weitläufigen Geländes ermöglicht werden. Dieses Ziel wurde im Spätsommer/Herbst 2020 so gut erreicht, dass der Münchner Stadtrat für 2021 eine Ausweitung beschlossen hat: die Ausleihstation hat auch am Wochenende offen. Außerdem stehen nun vier statt drei E-Mobile zur Verfügung.

Der Beitrag beleuchtet die Hintergründe und Perspektiven dieses städtischen Inklusionsprojektes.

Was sagen die Nutzerinnen und Nutzer?

Am eindrucksvollsten dürften die hier anonymisierten Urteile von Nutzerinnen und Nutzern zum neuen Verleihangebot sein:

Frau G.: „Meine Mutter und ich reisen extra aus Augsburg an, um den Elektromobilservice im Tierpark nutzen zu können. Ohne dieses Angebot könnten wir den Tierpark nicht besuchen. Meine Mutter ist stark geheingeschränkt und kann nur kurze Strecken zurücklegen.“

Herr U.: „toll, dass das geklappt hat! Die Kollegen vor Ort waren auch sehr gewissenhaft und zuvorkommend. Schön, dass es Euch gibt. Danke!“ (doppelter Bänderriss, auf Krücken)

Frau S.: „Mein Papa ist auf den Rollstuhl angewiesen und wir wollten in den Tierpark gehen. Vielen Dank für den tollen Tag!“

„Mein Mann war sein ganzes Leben lang ein passionierter Rollerfahrer“, berichtet seine Frau am Telefon. „Dann kam der Lungenkrebs und er musste seine Maschine abgeben. Das hat ihm fast das Herz gebrochen.“ Jetzt durfte er noch einmal auf einem Gefährt alleine unterwegs sein, wenn auch nicht schnell, so doch eigenständig: „Der ist mir ja einfach davongefahren, mit einem verschmitzten Lächeln“, berichtet Frau H. und ergänzt: „Einfach abgehauen! Zwar nur mit 7 km/h und ich hinterher.“ (Besuch mit Herzenswunschmobil des Hospizdienstes Nürnberg).  Und das ist der Hintergrund:                                                      

Initiative

Am Anfang dieses Verleihprojekts stand im März 2017 der 1. Fachtag „Wie erreichbar ist die Innenstadt?“, den das Sozialreferat auf der Basis eines Stadtratsantrages „Im Fokus: München beseitigt Barrieren für mobiltätseingeschränkte Personen“ vom 17.07.2012, StR-Antrags-Nummer: 08-14 / A 03516 von Mitgliedern der CSU-Fraktion veranstaltet hat.

Mitveranstalter war der Behindertenbeirat mit dem Facharbeitskreis (FAK) Mobilität, dessen Mitglieder auch viele Vorträge zum Fachtag lieferten. Die Dokumentation des Fachtages ist unter www.behindertenbeirat-muenchen.de/images/stories/downloadarchiv/Broschueren-Flyer/Doku_FT_Mobilitt_2017_barrierefrei.pdf online verfügbar oder von der FAK-Homepage aus leicht erreichbar.

Der FAK Mobilität wies auf dem Fachtag auf das positive Beispiel von Münchens schottischer Schwesterstadt Edinburgh hin, wo für den weitläufigen Royal Garden Rollstühle und Elektromobile im Besucherzentrum kostenlos bereitstehen.

Der FAK schlug eine derartige Mobilitätsunterstützung auch für die ausgedehnte Münchner Fußgängerzone vor und benannte die Burgstraße 4 gleich als Ausleihpunkt.

Dieser Impuls vom Fachtag wurde von den Stadträtinnen Alexandra Gaßmann und Dr. Constanze Söllner-Schaar sowie den Stadträten Haimo Liebich und Marian Offman in einem Antrag „Von Edinburgh lernen“ zeitnah aufgegriffen  (Nr. 14-20 / A 02996  www.ris-muenchen.de/RII/RII/ris_antrag_detail.jsp?risid=4428352).

It’s a long way

Bei der verwaltungsinternen Bearbeitung dieses Stadtratsantrages konnte sich der FAK Mobilität einbringen. Dabei stellte sich bald heraus, dass eine Realisierung in der Fußgängerzone lange auf sich würde warten lassen. Schlicht vor allem deshalb, weil die städtischen Referatsstrukturen nicht für die Realisierung eines derartigen Projekts ausgelegt sind. Traurig aber wahr.

Die Vorsitzende des FAKs Mobilität, Brigitte Neumann-Latour hatte in dieser kritischen Phase die zündende Idee, das Projekt dem Referat für Arbeit und Wirtschaft als Beschäftigungsprojekt vorzuschlagen, wo es mit dem Begleitservice für Bus&Bahn ein gutes Beispiel gab.

Die damalige Chefin der MBQ-Abteilung („Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm“), Dr. Anneliese Durst erkannte rasch das Potential eines Leihsystems für E-Mobile und fand in der anderwerk gGmbh einen idealen Träger. Schließlich war klar, dass die Leih-E-Mobile auch einer technischen Betreuung bedurften, wofür anderwerk gut gerüstet war.

Nachdem die Innenstadt aufgrund stadtinterner Bedenken als Standort für ein Pilotprojekt erst einmal ausschied, wurde eine Ausleihstation an der U-Bahnstation Olympiazentrum ins Auge gefasst. Schließlich ist der sehr weitläufige Olympiapark für mobilitätseingeschränkte Personen praktisch eine „No Go-Area“.

Aber auch hier taten sich große Bedenken auf, da jede Containeraufstellung erstmal mit dem Ensembleschutz und mit den Ansprüchen der SWM GmbH abgestimmt werden musste. Die „Hängepartie“, was mit dem längst aufgelösten Busbahnhof passieren solle, trug auch nicht zur Entscheidungsfreude städtischer Dienststellen bei.  

Aus dem Planungsreferat kam dann die gute Empfehlung, eine städtische E-Mobil-Leihstation im Tierpark Hellabrunn anzustreben, da das dortige Gelände umzäunt und nicht öffentlich sei.  

Wenn das Ergebnis zählt

Letztlich zählte der Wille, an einem Projekt die Wohlfahrtswirkung eines städtischen E-Mobil-Leihsystems unter Beweis zu stellen und ein gutes Münchner Beispiel zu liefern. Davon waren das RAW, der FAK Mobilität und anderwerk gGmbh felsenfest überzeugt.

Auch der Tierpark erwies sich von Anfang an als kooperativ und stellte seine Ressourcen am so genannten Flamingo-Eingang zur Verfügung.

Anderwerk gGmbh kümmerte sich als Projekt-Träger um die komplette Projektabwicklung inkl. aller technischen, rechtlichen und versicherungstechnischen Aspekte. Und natürlich um die Personalgewinnung im Sinne des MBQ-Förderkonzepts. D. h. Personen erhalten eine Chance auf eine feste Anstellung, die vorher längere Zeit arbeitssuchend waren.   

Die Ausleihe selbst findet im Freien an Bistrotischen statt, eine vorherige Reservierung ist obligatorisch.

Die E-Mobile sind mit einem Ortungssystem ausgestattet, so dass sie schnell auffindbar sind.

Weitere Infos gibt es auf   www.behindertenbeirat-muenchen.de/620-emobil-tierpark.

Es geht weiter

Das Pilotprojekt beim Tierpark wurde trotz der pandemie-bedingten Einschränkungen sehr gut angenommen, wie die Original-Zitate am Beginn dieses Beitrages belegen. Alle Akteure freuen sich, dass die E-Mobile Personen einen Tierparkbesuch ermöglichen, denen das z. T. seit Jahrzehnten verwehrt war.

Dieser Erfolg hat im Stadtrat nicht nur zu einer Verlängerung und Ausweitung des Projekts am Tierpark geführt, wie eingangs schon angeklungen ist, sondern auch zu Initiativen, es auf andere Standorte in München zu übertragen. So schlägt ein Stadtratsantrag vor, angesichts des 2022 anstehenden Jubiläums von Olympia 1972 im Olympiapark einen Elektromobilverleih a la Hellabrunn zu installieren: „Nächster Halt Olympiapark“. Mittlerweile gibt es von allen beteiligten städtischen Stellen Signale, dass dies sogar noch 2021 gelingen könnte. Das würde München wirklich zur Ehre gereichen!

Auch auf einem anderen wichtigen Feld zeichnen sich erste Fortschritte ab: die bessere Erschließung der Münchner Großfriedhöfe für mobilitätseingeschränkte Personen. Auch hier wären Leih-E-Mobile an den Haupteingängen für viele eine große Hilfe, um an die Grabstätte zu kommen. Der Waldfriedhof ist mit 152 Hektar Fläche fast viermal so groß wie das Tierparkgelände!   

Es steht außer Zweifel, dass hier eine Mobilitätsunterstützung überfällig ist und ein echter Akt der Inklusion wäre. Natürlich kostet ein derartiges Angebot (Steuer-)Geld, aber es darf nicht sein, dass bei der Verkehrswende für den Ausbau von Radwegen dreistellige Millionenbeträge fließen, aber die vergleichsweise preiswerte Unterstützung von mobilitätseingeschränkten Personen auf Großfriedhöfen, in Fußgängerzonen und in großen Freizeitarealen und Parks dann kein Euro mehr vorhanden ist.

Alles in allem ist der Einstieg in ein Leihsystem für Elektromobile ein nachhaltiger Erfolg für den Behindertenbeirat, den Stadtrat und die beteiligten Referate der Stadt München.

Dr. Georg Kronawitter