Über Lucy McKenzie 

Wer Art Déco und den Jugendstil mag, besonders den strengen, geometrischen, wie ihn der schottische Designer Charles Rennie McIntosh vertrat, hat es gut mit dieser Künstlerin. Auch wer seine Freude an guten, sorgfältig ausgearbeiteten Zeichnungen hat. Wem etwas an der täuschend echten augentäuschenden Wiedergabe edler Materialien, Holz, Marmor, Stoffe usw. liegt, wird auch glücklich werden. Aber ebenso, wer sich gerne überraschen lässt, wer nicht nur die hervorragend gearbeitete Oberfläche liebt, sondern den Dingen auf den Grund gehen will. Und jedenfalls, wer für Überraschung, Witz und Nachdenklichkeit aufgeschlossen ist. 
 

Die angewandten Künste wie Grafik, Illustration, Design, „Kunsthandwerk“, Mode, werden von Liebhabern der Malerei und den Verfechtern der reinen Lehre gern scheel angesehen oder gleich missachtet. Diese verfechten nämlich das Ideal der „reinen Kunst“, der Werks „an sich“, und wenn etwas nach Gebrauch und Verwendung riecht, ist es ihnen schon verdächtig. Ganz anders die Künstlerin Lucy McKenzie. Sie sagt, sie habe „früh gelernt, dass Hoch- und Populärkultur Konzepte sind, die man besser sofort über Bord wirft.“ Man müsse anerkennen, dass das, womit man sich beschäftigt, einen Wert hat. So verschaffe man ihm Anerkennung. Auf diese Weise malt und zeichnet Lucy McKenzie, schreibt sie, dreht sie Filme, sie hat ein Modelabel gegründet und Filme produziert, ihre Vielseitigkeit ist erstaunlich. Und erstaunlich ist auch die hohe Qualität dessen, was sie macht. 

Lucy McKenzie wurde 1977 in Glasgow geboren. Sie hat 1995 - 1999 in Dundee und 1998 an der Kunstakademie in Karlsruhe studiert. Sie hat eine Reihe erfolgreicher Ausstellungen hinter sich und war 2011- 2013 Gastprofessor an der Kunstakademie Düsseldorf. Sie hat aber auch früher um Geld zu verdienen in Softpornoproduktionen mitgewirkt, was sie in späteren Arbeiten thematisiert, indem sie einen Brief zur Verwendung von Fotos aus solchen Filmen haarklein abmalt und das ganze Selbstportrait nennt. 

Ja, das Abmalen: Die genaue Wiedergabe von Gegenständen in täuschend ähnlicher Manier – Trompe l’Oeil (Augentäuschung) Malerei genannt – hat die Künstlerin, als sie schon eine bekannte Malerin war, von der Pike auf gelernt, indem sie in Brüssel, ihrem Wohnsitz, an einer Schule eine Ausbildung auf der Grundlage eines traditionellen Lehrplans aus dem 19. Jahrhundert absolvierte, mit dem Ergebnis, dass sie zum Beispiel in einer Rauminstallation ein Telefon an die Wand malt, dessen Hörer man abnehmen möchte, so plastisch und lebensecht ist es dargestellt, nur noch das Klingeln fehlt. Ihre Quodlibets (das heißt „was beliebt“), eine althergebrachte Form des Stilllebens, die als eine konservative Darstellungsweise gilt, benutzt sie zum Beispiel, um berühmte Größen der Kunst, Literatur und Architektur zu hinterfragen, die mit Pädophilie in Verbindung gebracht werden. Oder aber sich vorzustellen, wie ein faschistisches Badezimmer beschaffen sein könnte. Das sind aber keine Axt- und Hammerschläge, sondern Denkanstöße, zweifellos kritischer und feministischer Art, sehr erfrischend. 
 

Man kann das eklektizistisch nennen und behaupten, diese Kunst sei nicht originell und nicht innovativ. Die Künstlerin meinte dazu in einem Interview: „… wenn man mich also bitten würde einfach ein Bild zu malen, wüsste ich nicht, was ich tun sollte. Alles, was ich mache, ist eine Reaktion auf etwas anderes. Dahinter steht immer das Verlangen, zu verstehen, fast schon wie ein Akt der Verehrung; es hat etwas leicht Perverses – jemandem mit dem Pinsel über die Wange zu streichen, indem man in einem ähnlichen Stil malt.“ 

Die Ausstellung „Prime Suspect“ im Museum Brandhorst mit über 100 Arbeiten aus der Zeit von 1997 bis heute, erste große Retrospektive, von Jacob Proctor in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin kuratiert, ist sehenswert, gleich, ob man nur an schön gemalten kunstvollen Bildern seine Freude hat oder ob man Witz, Ironie und das Nachdenken schätzt. Am besten beides. Eine Schau für das Auge, das Herz und den Verstand. 

Im Übrigen erfährt man etwas über den Gebrauch der Menstruationstasse, und für Eltern mit Kindern ist anzumerken, dass es ein schönes Erkundungsheft gibt, an dem Lucy selber mitgearbeitet hat. Als ich ein Kind war, hat es so interessante Sachen in den Museen noch nicht gegeben. 

Jürgen Walla.