Wie schnell kann sich doch das Leben von einem Tag auf den anderen verändern. Nach einem schweren Bergunfall als 28-jähriger Student und einjährigem Krankenhaus-Aufenthalt in einer Rehaklinik sahen meine Mobilitätsmöglichkeiten völlig anders aus. Gehen war nur mehr mit Krücken und beidseitigen Gehschienen, die von den Fußsohlen bis zu den Oberschenkeln reichten, möglich. Die Reha-Ärzte attestierten eine außergewöhnliche Gehbehinderung, auch eine solche Klassifizierung musste ich erlernen. Gehen mit Krücken und Beinschienen war also ab diesem Zeitpunkt nur mehr äußerst beschwerlich und schweißtreibend!

Letztlich bestimmte damit der Pkw den Radius meiner verbliebenen Mobilität. Viele andere meiner beliebten Sport- und Mobilitätsvarianten wie Radfahren, Berg- und Skitouren, Tanzen und Flanieren waren nicht mehr möglich, und wenn überhaupt, nur äußerst beschwerlich und mühsam. Das heißt in der Konsequenz, den sehr reduzierten Möglichkeiten, das Beste draus zu machen, und mit Hilfe von Krankengymnastik, Energie und dem Schweinehund die Zähne zu zeigen, das Menschenmögliche erreichen. Trotz alledem, der Pkw blieb Dreh und Ausgangspunkt aller verbliebenen Mobilität. Es galt schnell zu lernen, am Endpunkt einer Anfahrt wird ein Parkplatz für das Auto gebraucht, verbliebene Gehwege sollten nicht länger als 150 bis 200 Meter lang sein.


Als Münchner seit meinem Studium musste ich ebenfalls sehr schnell realisieren, U-Bahn, Straßenbahn wie auch der Bus waren in den 70iger Jahren noch meilenweit weg von Barrierefreiheit und sind es auch heute noch weitgehend bzw. nur mit Hilfe einer Begleitperson zu benutzen. Also, das eigene Auto ist für  

Personen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung in München aufgrund der nicht gegebenen Barrierefreiheit des ÖPNV nahezu unverzichtbar. Wie willkommen wäre da eine großzügige Vorhaltung von Behindertenstellplätzen, wie solches ich z.B. bei meinen Besuchen italienischer Städte wie Bologna, Florenz, Siena, Arezzo und anderen Städten feststellen konnte. Dort ist die Einfahrt in die Innenstädte, selbst in Fußgängerzonen, für Inhaber des blauen Parksonderausweises (für außergewöhnlich Gehbehinderte) auch in die für Bewohner vorbehaltenen Altstadtquartiere möglich, Stellplätze sind großzügig ausgewiesen.

Mittlerweile seit gut sieben Jahren ist mir Gehen mit Krücken und Gehschienen nicht mehr möglich. Und in solch einer Situation sieht die Welt nun wiederum ganz anders aus! Als Rollifahrer scheitert man/frau an jeder Stufe, Treppen sind völlig außen vor, und jede größere Unebenheit, Kieswege oder gar Kopfsteinpflaster mit grober Verfugung bringen Probleme bzw. tun dem Hintern und dem ganzen Rücken gar nicht gut. All das und noch viel anderes in unserer eng bebauten Stadt mit all ihrer Gedankenlosigkeit bedeutet unüberwindbare Barrieren, Umwege, oder im schlimmsten Fall Ausschluss! Da sind nachvollziehbar leicht auffindbare, mit Glück vielleicht noch freie Behindertenstellplätze vor Kultureinrichtungen wie Theater, Konzertsälen, Kinos, völlig unerwartet vor städtischen wie auch staatlichen Behörden und selbstredend in unmittelbaren Umgebung von Einkaufsmöglichkeiten des täglichen Gebrauchs, Apotheken und Arztpraxen hoch willkommen! Gleiches gilt natürlich für das unmittelbare Umfeld von Fußgängerzonen, gerne aufgesuchten Aufenthaltsbereichen wie Parks und Grünzügen mit ihren Schattenflächen und Sitzbänken wie z.B. an der Isar entlang. Solch vorgehaltene Parkplätze für Handicap-Betroffene sind überhaupt erst der Schlüssel für ein Aufsuchen und Teilnehmen am öffentlichen Leben, für Bewegung, Gesundheit, Sport und frische Luft und Lebensqualität.

Nach meiner Berufstätigkeit war es nun seit rd. 10 Jahren aufgrund all dieser geschilderten Umstände nahezu unumgänglich, mit der nun freigewordenen Zeit mit bürgerschaftlichem Engagement im Münchner Behindertenbeirat, und dort im Facharbeitskreis Mobilität tätig zu werden. In diesem Facharbeitskreis, einer von 8 Facharbeitskreisen des Behindertenbeirates, arbeiten seit langer Zeit mittlerweile rund 30 Betroffene für ein barrierefreies München, bohren dicke Bretter, für mehr Beachtung und Verständnis in Behörden und im Stadtrat, für Lebensqualität und Teilhabe.

Nun wieder zurück zur Parkplatz-Situation: In München, insbesondere in der Altstadt, fehlen noch immer ausreichend vorgehaltene Behindertenstellplätze. Das wird wohl so lange noch anhalten, solange Jedermann/Jedefrau ungehindert bequeme Zu- und Ausfahrt für diesen Innenstadtbereich hat. München ist bundesweit als Stadt mit den meisten Staus, verkehrsüberflutet, mit Autos vollgestellten Straßen und Plätzen, belasteter Luft und Umwelt bekannt. „All die schöne Münchner Stadt“, bedeutet Parksuche-Verkehr, Stau, Ärger und Zeitverschwendung! Noch immer fehlt ein engmaschig getakteter barrierefreier Citybus mit kleineren Busfahrzeugen, wie solches längst in anderen Städten im Angebot ist, obwohl der Behindertenbeirat seit mehr als 10 Jahren eine solche Einrichtung vehement fordert. Es diktiert das Primat der Wirtschaftlichkeit; innerhalb der Münchner Verkehrsgesellschaft wie auch im Münchner Stadtrat fehlen Entschlossenheit und Entscheidungswillen. Selbst für einen bescheidenen Versuch mit kleineren Fahrzeugen hat es bislang nicht gereicht. Es wird wohl noch einiges Wasser die Isar hinab fließen, bis erste Ideen und Skizzen einer autoreduzierten Altstadt entwickelt und umgesetzt werden können. Bis dahin hofft der/die auf einen Pkw angewiesene Münchner Bürger/in wie auch Besucher von außerhalb auf eine  

wirklich großzügigere Ausweisung von Behindertenstellplätzen. Nicht in ihrer Mobilität beeinträchtigte Personen kann durchaus verstärkt die Benutzung des Personennahverkehrs zugemutet werden. Hier ist noch einiges von Stadtrat und Verwaltung zu bewegen. Behindertenbeirat wie auch der Behindertenbeauftragte kämpfen seit Jahren für entsprechendes Gehör, für mehr Aufgeschlossenheit für  

den großen Kreis von mobilitätseingeschränkten und älteren Personen in München. Wir alle sollten in Richtung mehr Solidarität, humanere und urbanere Stadtgesellschaft unterwegs und engagiert sein!

Günter Fieger-Kritter