Die schwere Entscheidung zum betreuten Wohnen

Die Vorgeschichte: Nach endlosen und erfolglosen Versuchen, über das Wohnungsamt eine behindertengerechte Wohnung zu bekommen, schlug mir eine Freundin vor, das „betreute Wohnen“ zu versuchen.

Zuerst habe ich das total abgelehnt. Erstens war es mir zu teuer – ich brauche ja keine Betreuung, muss sie aber bezahlen.


Und nur mit alten Leuten zusammen zu wohnen, keine Kinder von Nachbarn aufwachsen zu sehen, das kam für mich gar nicht infrage. Aber als ich dann immer schlechter laufen konnte und mein Mann krank wurde und 100% behindert war, musste ich mir doch etwas einfallen lassen. Tagelang habe ich im Internet nach Einrichtungen zum betreuten Wohnen gesucht. Man glaubt nicht, wie viele Angebote es da gibt. Da der Begriff aber nicht geschützt ist, kann jeder private Anbieter das Angebot an Betreuung und die Preisgestaltung handhaben wie er will.


 

Daraufhin beschloss ich, nur städtische und kirchliche Anbieter zu testen. Nach zahlreichen Telefonaten und Besichtigungen blieben zwei Einrichtungen übrig und schließlich haben wir uns im Mathildenstift, einer Einrichtung der Stadt München, angemeldet. Die Wartezeit war kürzer als erwartet, und der Umzug fiel in eine Zeit, als mein Mann im Krankenhaus und in der Reha war. Freunde halfen beim Umzug, aber es war sehr schwer für mich, von meinen vielen Büchern, Schallplatten und was man sonst noch alles an lieben Erinnerungen im Lauf des Lebens gesammelt hat, Abschied zu nehmen. Auch unsere Möbel konnten wir nur zum Teil mitnehmen, da ja alles viel kleiner ist.

Aber nun hat sich alles viel positiver entwickelt als erwartet.

Im Mai letzten Jahres war der Umzug. Nach kurzer Eingewöhnungszeit fühlten wir uns dort sehrwohl. Es ist alles barrierefrei, alles ist mit Rollstuhl und Rollator zu erreichen. Es gibt einen kleinen aber sehr schönen Garten hinterm Haus, wo man einen kleinen Spaziergang machen und mit den anderen „Alten“ in der Sonne sitzen kann, die alle sehr nett sind und viel Interessantes zu erzählen haben. In einem halben Jahr haben wir mehr Kontakte geknüpft als in 30 Jahren in der alten Wohnung. Ansonsten lebt man vollkommen selbständig, kann aufstehen, schlafen gehen und essen, wann man will. Die Küche ist sehr geräumig, so dass ich nach Herzenslust kochen und backen kann. Natürlich kann man auch Essen auf Rädern bestellen oder zum Essen gehen. Im selben Haus ist ein italienisches Restaurant, wo man im Sommer auch schön draußen sitzen kann. Auch eine Physiotherapie ist im Haus, alles rollstuhlgerecht zu erreichen. Im Sommer hatten wir ein sehr schönes Sommerfest mit guter Bewirtung und im Oktober hat jeder ein großes Lebkuchenherz bekommen. Wir wohnen zentral und doch sehr ruhig.

Meine anfängliche Abneigung gegen diese Wohnform ist also völlig überholt und ich kann betreutes Wohnen jedem empfehlen. Wer nicht mehr alleine leben kann oder möchte, kann auch was finden. Angebote gibt es genug, man muss nur suchen, bis man das Passende findet. Für mich war es wichtig, in der Stadt zu sein und öffentliche Verkehrsmittel benutzen zu können. Hier ist auch das Taxi noch bezahlbar – zum Gasteig oder Herkulessaal kostet es von hier aus mit Trinkgeld 10 €, was noch erschwinglich ist.

Else Hestermann