Das höchstrichterlich bestätigte Behindertentestament ist trotzdem vielen noch kein Begriff

rufezeichenBei vielen Eltern von behinderten Kindern hat sich noch nicht herumgesprochen, dass das so genannte Behindertentestament eine Möglichkeit bietet, diesen Kindern etwas zu vermachen, ohne dass das Geld durch die Sozialhilfe gleich wieder einbehalten wird.

Ein befreundetes Ehepaar, das zwei nichtbehinderte und einen geistig behinderten Sohn hat, erklärte mir erst kürzlich, also der M. (der geistig behinderte Sohn) bekomme mal nichts vererbt, denn sonst gehe ja sowieso alles an die Sozialhilfe, vielmehr sollen ihm die beiden anderen Söhne aus ihrem Erbe was geben, wenn er was brauche.
Oder ein anderer Fall: die Mutter eines schwerbehinderten Mannes, der sowohl Grundsicherung als auch Hilfe zur Pflege erhält, hat ihr ganzes Geld einem Neffen vermacht und vereinbart, dass er ihrem Sohn bei Bedarf immer mal wieder etwas zukommen lässt.

Beide Vereinbarungen lassen aber außer acht, dass den behinderten Kindern in jedem Fall ein Pflichtteil zusteht, der als Kompensation für die Sozialhilfe vom Staat einbehalten wird. Die Sozialämter sind hier seit einiger Zeit sehr hinterher, so dass das Geld sicher eingezogen wird. Der Pflichtteil entspricht in der Höhe der Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils. Beträgt der gesetzliche Erbteil bei drei Kindern im Falle des Versterbens des letzten Elternteils je ein Drittel, so macht der Pflichtteil ein Sechstel des Erbes aus, das dann für die Erben verloren ist.

Jetzt besteht aber bereits seit vielen Jahren das so genannte Behindertentestament, eine spezielle Testamentskonstruktion, die ermöglicht, einem Kind für die Zeit nach dem Ableben der Eltern Mittel zur Verfügung zu stellen, die über die schiere Sicherung der Existenz hinausgehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt in einem Urteil: vom 19.01.2011 ausdrücklich fest: “Die Eltern eines behinderten Kindes können in ihrem Testament eine Vor- und Nacherbschaft wie eine mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehene Dauertestamentsvollstreckung anordnen, um ihrem Kind eine über das sozialhilferechtlich gesicherte reine Existenzminimum hinausgehende Lebensqualität zu sichern Dies sei grundsätzlich nicht sittenwidrig, auch wenn damit der Zugriff der Sozialhilfeträger auf dieses Erbe ausgeschlossen wird. Vielmehr sei dies „Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus“. Nach Auffassung des BGH ist das vom Gesetzgeber so gewollt, denn er geht im Bereich der Sozialhilfeleistungen davon aus, dass „die mit der Versorgung, Erziehung und Betreuung von Kindern verbundenen wirtschaftlichen Lasten, die im Falle behinderter Kinder besonders groß ausfallen, zu einem gewissen Teil endgültig von der Allgemeinheit getragen werden sollen, da nur Kinder die weitere Existenz der Gesellschaft sichern.“ ( Zitate aus dem Infobrief Sozialrecht der Rechtsanwälte Hoffman und Greß vom März 2011)

Eine einzige Einschränkung bei einem Behindertentestament gibt es: Falls die Eltern ihren Kindern ein solch beträchtliches Vermögen hinterlassen, das die Kinder davon ihren Lebensunterhalt und ihre Pflege selber sicherstellen können, dann muss dieses Vermögen eingesetzt werden. Wenn es aber darum geht, dem Kind Urlaubreisen oder mal über die Grundsicherung hinausgehende Annehmlichkeiten zu gestatten, dann ist ein Behindertentestament das Richtige. Die Rechtanwälte Greß und Hoffman betonen ausdrücklich: „Die Erstellung eines Behindertentestaments gehört zu den schwierigsten und komplexesten Gestaltungen in der Erbrechtsberatung. Ein „Standard Behindertentestament“ gibt es nicht. Erforderlich sind in jedem Einzelfall individuelle, an die konkreten Vermögensverhältnisse, die familiären Umstände und vor allen den Wünschen der Beteiligten angepasste Regelungen. Es sollte zudem auf die Bedürfnisse und Wünsche von Geschwistern des behinderten Kindes und von sonstigen nahen Angehörigen eingegangen werden, um den Zusammenhalt der verbleibenden Familienmitglieder nach dem Tod der Eltern zu sichern!“

Deshalb ist allen Eltern, die daran interessiert sind, ein Behindertentestament zu machen, zu raten, sich an Rechtsanwälte und Notare zu wenden, die Erfahrung auf diesem Gebiet haben. Denn es ist bitter, wenn Regelungen im Testament, die in gutem Glauben und mit gutem Willen verfasst wurden, dann vor Gericht keinen Bestand haben und der Sozialhilfeträger doch noch Zugriff auf das Erbe hat.

Carola Walla