Samstag Morgen, 9 Uhr: Eine Gruppe von Rollifahrern und Fußgängern versammelt sich auf dem Parkplatz Studentenstadt. Reisefieber liegt in der Luft. Die Gruppe hat einen weiten Weg vor sich – mit dem Bus nach Berlin! Nachdem Sack und Pack verstaut sind, geht es los, mit jeder Menge guter Laune über die Autobahn quer durch Deutschland, hinauf in die Bundeshauptstadt. Von Berlin-Wedding aus, wo sich die Herberge der CBF-Reisegruppe befand, starten die „City-Touren“ der folgenden drei Tage.

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Schon am ersten Abend spricht sich die Gruppe dafür aus, Berlin mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu entdecken, da man so das besondere und bunte Flair von dieser Stadt besser mitbekommt und zudem die Berliner hautnah erleben kann. Wir wollen in die Stadt eintauchen - mit aufgepumpten Rädern, vollen Batterien, guter Kondition und Abenteuerlust. Außerdem ist es für uns eine besondere Herausforderung, das öffentliche Verkehrsnetz hinsichtlich seiner Barrierefreiheit kennenzulernen.

Den Einstieg bereitet ein Besuch des Potsdamer Platzes und seiner futuristischen Konstruktionen. Vorbei an den Überresten der einstigen Berliner Mauer geht es weiter zur imposanten Reichstagskuppel. Dort erwartet die Gruppe eine interessante Führung durch den Bundestag und ein gigantischer Ausblick von der Glaskuppel. Nach einem gemütlichen Abend bei deftiger Berliner Küche stehen am nächsten Tag weitere Highlights auf dem Plan. Fachmännisch begleitet von Volker und Willy, zwei Mitarbeitern des Projekts „Mobidat“ für ein barrierefreies Berlin, bekommen die „Münchner Kindl“ die gesamte Innenstadt gezeigt. Entlang der ein oder anderen Currywurstbude geht es Unter den Linden zum Brandenburger Tor, dann weiter zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas, zum Gendarmenmarkt, zur Uni bis hin zum Alex. Hier befindet sich auch der berühmte Fernsehturm. Für Rollstuhlfahrer ist es allerdings trotz Aufzug nicht möglich, nach oben zu fahren. Da wir das schon vorher wussten, waren wir auch nicht sonderlich enttäuscht. Eine tolle Aussicht über die Dächer von Berlin konnten wir ja bereits auf der Aussichtsplattform am Potsdamer Platz und in der Glaskuppel im Reichstag genießen.Am Alexanderplatz erzählte uns Volker, unser Stadtführer von Mobidat, eine kleine Anekdote über den Fernsehturm. Auf der Kugel des Turms wird durch die Sonnenstrahlen ein Kreuz geworfen. Da die DDR-Führung kein Freund der Kirche und Religion bekanntlich Opium fürs Volk war, überlegte man sogar, das Bauwerk zusätzlich von unten bestrahlen zu lassen, um die Reflexion der Sonne zu vermeiden. Aber alle Versuche der damaligen SED Regierung, das Kreuz an der Kugel verschwinden zu lassen, scheiterten kläglich. Die Westberliner haben deshalb das Bauwerk auch „Ulbrichts Kathedrale“ genannt. Naja, kleiner Trost, auch in Bayern kommt man selten mit dem Rolli auf den Kirchturm.

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Die vielen neuen Eindrücke am dritten Tag unserer Reise entschädigten qualmende Füße und Reifen! Am letzten Tag vor unserer Abreise steht nun für den Vormittag „die Berliner Mauer“ auf dem Programm, denn Berlin, ohne Rückschau auf die Mauer zu halten, ist wie München, ohne die Weißwurst dort probiert zu haben. Volker und Willy führten uns deshalb zur Mauergedenkstätte, die an der Bernauer Straße liegt. Dort befindet sich ein Besucherzentrum und im Außenbereich wurde die Mauer in Abschnitten wieder aufgebaut. Ein Teil wurde originalgetreu mit Wachturm und Sperrzone errichtet, ein weiterer Teil erinnert hinter der Mauer an Menschen, die auf der Flucht erschossen wurden und archäologische Fenster zeigen Fundamente von Wachtürmen, Lichtmasten und alten Gräbern, die aufgrund des Mauerbaus entfernt/umgesiedelt wurden. Den gesamten Mauerverlauf konnten wir vom Aussichtsturm des Dokumentationszentrums aus bestens überblicken. Hier oben waren Brutalität der Stadtteilung und die daraus resultierenden menschlichen Tragödien besonders spürbar und deutlich. Tief bewegt vom Mauerbesuch in der Bernauerstrasse und drei Tagen Kultur pur war es Zeit, den „Kiez“ Friedrichshain anzusteuern, der in den letzten Jahren einen radikalen Wandel vollzogen hat vom früheren Arbeiterviertel zu einem hippen Szenebezirk Berlins. Nachdem uns Volker zunächst einen geschichtlichen Rückblick über seinen „Kiez“ gegeben hat - er wohnt seit Jahren schon in Friedrichshain -, wagte sich die Gruppe aus Bayern auf das unbekannte Terrain. Sofort war die lebendige, weltoffene und tolerante Atmosphäre spürbar. Auf den Straßen in Friedrichshain tummeln sich Kreative, innovative Aufsteiger, junge Familien und Studenten. Alle Menschen waren hier willkommen, egal ob Zuwanderer, Ausländer oder Menschen mit Behinderungen. Keine versteckten Blicke, keine Berührungsängste, sondern direkte Kommunikation mit Betroffenen hat diesen Kiezbesuch zu einem entspannten Flanier- und Shoppingerlebnis gemacht.

Ein Kommentar von der Teilnehmerin Concetta Tatti ist hierzu: „Geile Stadt, hammercool, nette, hilfsbereite und sehr offene Menschen, die zu ihrer Geschichte stehen und diese mit Stolz tragen. Ich war überwältigt von der Stadt und von den vielen Impressionen, die ich in fünf Tagen dort erleben durfte. Als gebürtige Münchnerin kann ich sagen, Berlin lebt à la ‚peace and love’ und ist definitiv Multikulti. I love Berlin und ich verspreche dir, ich komme wieder!!!“ Diese Aussage zeigt, dass wir uns als Menschen mit Behinderung in dieser Stadt sehr wohl gefühlt haben. Am nächsten Morgen, Mittwoch, 10.00 Uhr, ging es wieder auf die Rückreise. Die Fußgängergruppe hat zwar bedauerlicherweise ihren Zug verpasst, da einer der unzähligen Aufzüge am Hauptbahnhof defekt war , doch dieses kleine Malheur konnte unsere schönen Erinnerungen und tollen Erlebnisse, die wir in Berlin hatten, in keinerlei Weise trüben.

Für die Sozialarbeiter Beatrice Frey und Roland Utz von der Germeringer Abteilung des CBF München war es die erste gemeinsame Wochenreise. Ihr Fazit: „Eine geniale Mischung aus Bildung, Freizeit und gegenseitigem Kennenlernen in einer bunten, vielseitigen und wahnsinnig lebendigen Stadt. Kurz gesagt - ein wunderbares Gruppenerlebnis mit Menschen mit und ohne Handicap, das uns sicherlich noch lange in Erinnerung bleibt. Das sommerliche Wetter trug zudem noch dazu bei, dass diese Stippvisite zu einem einmaligen und perfekten Erlebnis wurde.

Ganz besonders möchten wir uns bei Volker und Willi von Mobidat bedanken – die uns zwei Tage lang sicher und fachmännisch durch den Großstadtdschungel begleitet haben und immer für uns da waren, wenn es galt, Barrieren zu überwinden - insbesondere dann, wenn wir Rollitoiletten vorgefunden haben. Die Barrierefreiheit in der Stadt – auch dank Mobidat - ist sehr lobenswert. Roland Utz und Beatrice Frey möchten im kommenden Jahr wieder eine Städtereise für Jung und Alt anbieten.

Roland Utz