Gesetzesauslese
Schöne, neue Welt und das Gendiagnostikgesetz

Als Aldous Huxley in den Dreißiger Jahren den beklemmenden Roman „Schöne, neue Welt“ verfasste, schien die darin beschriebene Aufzucht und Konditionierung von Menschen pure Phantasie – heute ist diese Vision durch die riesigen Fortschritte der Wissenschaft und dabei vor allem der Genetik längst im Bereich des Möglichen. Genetische Dispositionen oder Krankheiten können durch vorgeburtliche Untersuchungen festgestellt, der Einsatz zu bestimmten Tätigkeiten oder der Abschluss von Versicherungen von einem entsprechenden genetischen Befund abhängig gemacht werden. Die Liste möglicher Verwendungen einer genetischen Untersuchung ließe sich beliebig verlängern.
Umso wichtiger erscheint es daher, das technisch Machbare von dem rechtlich Zulässigen zu unterscheiden. Dieser Versuch endete jetzt nach jahrelangen Debatten im Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz oder GenDG) vom 31. Juli 2009 (Bundesgesetzblatt 2009, Teil I vom 4. August 2009, S. 2529 ff.). Dieses Gesetz gilt für alle genetischen Untersuchungen, die nicht zu Forschungszwecken, im Rahmen der Strafverfolgung oder in Anwendung des Infektionsschutzgesetzes vorgenommen werden. Sämtliche aus einer Vielzahl von Krimireihen wie beispielsweise „Law and Order“ vielleicht bekannten Episoden sind also von diesem Gesetz nicht erfasst.
Da die jetzt in Kraft getretene Fassung des Gesetzes außerdem einen Kompromiss zwischen den Parteien der Großen Koalition widerspiegelt und auch von den Oppositionsparteien nicht mitgetragen wurde (FDP und Die Linke enthielten sich der Stimme, die Grünen votierten dagegen), sind die Meinungen über den im Gesetz erreichten Konsens nach wie vor kontrovers, wie im Einzelnen aufzuzeigen sein wird.

Einwilligung erforderlich

Als grundlegende Voraussetzung einer genetischen Untersuchung wird im Gesetz ein Einwilligungserfordernis aufgestellt, das durch umfangreiche Aufklärungspflichten vor und Beratungspflichten nach der Untersuchung begleitet wird und auch in einer jederzeitigen Verfügungsgewalt über die entnommene Probe seinen Ausdruck findet. Bei nicht einwilligungsfähigen Personen ist eine genetische Untersuchung darüber hinaus nur unter der weiteren Voraussetzung des gesundheitlichen Nutzens für die betreffende Person oder unter noch engeren Voraussetzungen für denjenigen einer genetisch verwandten Person zulässig.
Mit dieser strafbewehrten Verpflichtung (das bedeutet, dass die Verletzung derselben eine Straftat darstellt) wird sichergestellt, dass bei genetischen Untersuchungen die davon betroffene Person jederzeit Herr des Verfahrens ist, also über das Ob und den Umfang einer Untersuchung frei entscheiden kann und die einmal getroffene Entscheidung auch widerrufen darf. Zufällig aufgefundenes Material in Form auf einem Kleidungsstück zurückgelassener Haare oder von Speichelresten an einem Glas oder Briefumschlag kann also nicht ohne weiteres einer solchen Untersuchung zugeführt werden.

Abstammungsuntersuchungen

Konsequenterweise wird das Erfordernis der Einwilligung auch auf Abstammungsuntersuchungen erstreckt, das heißt Untersuchungen, ob ein Kind von diesem oder jenem Vater abstammt. In diesem Fall müssen diejenigen Personen zustimmen, deren genetische Proben untersucht werden sollen. Heimliche Vaterschaftstests sind demgemäß verboten, die Labors müssen das Vorliegen entsprechender Einwilligungen prüfen (beispielsweise indem schriftliche Einverständniserklärungen verlangt werden). Da in vielen Ländern heimliche Vaterschaftstests aber nach wie vor zulässig sind und bei einer postalischen Beantragung eines heimlichen Vaterschaftstests das in Deutschland in Kraft tretende Verbot problemlos umgangen werden kann, wird diese Regelung von vielen Seiten abgelehnt, da dadurch letztendlich nur einem Medizintourismus Vorschub geleistet würde, oder sogar empfohlen, einen geplanten heimlichen Vaterschaftstest noch vor Inkrafttreten dieses Gesetzes durchführen zu lassen.

Arztvorbehalt

Die im Gendiagnostikgesetz vorgesehenen genetischen Untersuchungen dürfen nur von Ärzten vorgenommen werden. Dies mag von Ärzteverbänden begrüßt werden, wird von anderer Seite aber heftig kritisiert, da die entsprechenden molekularbiologischen Methoden der Gendiagnostik von Chemikern, Biochemikern und Biologen entwickelt worden seien und deren Ausschluss sich auf die künftige Qualität genetischer Untersuchungen auswirken werde.

Vorgeburtliche Untersuchungen

Weiterhin sind nach dem Gendiagnostikgesetz vorgeburtliche Untersuchungen nur aus medizinischen Gründen zulässig und dürfen nicht der Feststellung so genannter spätmanifestierender Krankheiten dienen (also Krankheiten, die erst nach Erreichen des achtzehnten Lebensjahres auftreten). Damit soll zum einen verhindert werden, dass Eltern während der Schwangerschaft aus anderen Gründen genetische Untersuchungen vornehmen lassen, etwa um das Geschlecht des erwarteten Kindes zu erfahren. Zum anderen schiebt der Gesetzgeber auf diese Weise einer übermäßigen genetischen „Ausforschung“ des erwarteten Kindes einen Riegel vor.

Genetische Untersuchungen im Arbeitsleben und im Versicherungsbereich

Besondere Bedeutung haben genetische Untersuchungen natürlich im Arbeits- und Versicherungsrecht. Sollte ein Arbeitgeber einen Bewerber auf seine genetische Eignung untersuchen lassen oder entsprechende Untersuchungsergebnisse verlangen dürfen? Wie ist es bei Versicherungsunternehmen, beispielsweise bei Abschluss einer Krankenversicherung? Jeder wird unschwer nachvollziehen können, dass eine uneingeschränkte Zulassung der Durchführung genetischer Untersuchungen durch oder eine Herausgabepflicht der Ergebnisse solcher Untersuchungen an Arbeitgeber oder Versicherungenrungen schwerwiegende Folgen für den Betroffenen haben wird: welcher Arbeitgeber wird schon einen Bewerber einstellen, dessen genetischer Befund auf eine sich später manifestierende Erbkrankheit hindeutet? Welche Versicherung würde wohl in einem solchen Fall den Antrag auf Abschluss einer Kranken- oder Lebensversicherung annehmen? Der Gesetzgeber entscheidet sich deshalb aus gutem Grund für ein grundsätzliches Verbot in beiden Bereichen. Grundsätzlich bedeutet aber immer, dass es Ausnahmen gibt. So auch hier: Versicherungen können bei Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Erwerbsunfähigkeits- und Pflegerentenversicherungen mit einer Auszahlungssumme von mehr als 300.000 € oder einer Jahresrente von mehr als 30.000 € die Vorlage bereits vorliegender genetischer Befunde verlangen und Arbeitgeber können arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen genetischer Natur durchführen lassen, so beispielsweise die Untersuchung auf eine genetisch bedingte Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Stoffen. Diese Ausnahmen wurden von der Opposition durchweg kritisiert, da sie nach deren Auffassung keinen ausreichenden Arbeitnehmerschutz vorsehen und vor der Versicherungswirtschaft einknicken würden.
In der Tat bleibt abzuwarten, ob ein im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Lebensversicherung mitgeteilter genetischer Befund beim Antrag auf Abschluss einer Krankenversicherung im selben Unternehmen wirklich nicht berücksichtigt wird.

Errichtung einer Gendiagnostik- Kommission

Last, but not least sieht das Gesetz die Errichtung einer unabhängigen, interdisziplinären Gendiagnostik-Kommission vor (darin sitzt unter anderen ein Vertreter der Interessen behinderter Menschen). Diese Kommission hat die Aufgabe, Richtlinien in Bezug auf den allgemein anerkannten Stand von Wissenschaft und Technik zu erstellen betreffend die Beurteilung genetischer Eigenschaften, Inhalte durchzuführender Beratungen und ähnlichem.

Inkrafttreten

Die Bestimmungen über die Errichtung und Tätigkeit der Gendiagnostik- Kommission sind bereits in Kraft getreten, die übrigen Vorschriften (einige kleinere Ausnahmen können hier außer Betracht bleiben) tun es dann am 1. Februar 2010.

Wolfgang Vogl