„Du machst das schon!“
Gespräch mit Barbara Wiedenmann

Als sie wieder zu Bewusstsein kam, war sie vom Hals bis zum Becken in Gips eingeschweißt. Konnte sich nicht bewegen. Alles schmerzte. Selbst wenn ihre Wirbelsäule heilen würde, hätte sie nur noch etwa zwei Jahre zu leben, teilte man ihr mit. Damals – vor 40 Jahren – überlebten ca. 98 Prozent aller Querschnittgelähmten ihren Unfall nicht lange. Sie starben an den Folgen der Lähmung. Heute ist es umgekehrt. Heute schaffen es 98 Prozent und haben Aussicht auf ein langes, befriedigendes Leben. Barbara Wiedenmann hatte damals, nach ihrem Autounfall, das Glück, zur Rehabilitation nach Heidelberg zu kommen. Dort holte man sie raus aus dem tödlichen Gipskokon, in dem sie langsam buchstäblich verfault wäre. Denn das Gewebe stirbt allmählich, wenn man nur darauf achtet, dass der Bruch der Wirbelsäule perfekt Frau Wiedenmannzusammenheilt.

In Heidelberg war das Programm ein vollkommen entgegengesetztes: den Verletzten ständig neu lagern, raus aus dem Bett in den Rollstuhl sobald als irgend möglich, das dauerte in ihrem Fall ein halbes Jahr, und trainieren. Ziel – alles, aber auch alles selber machen, vollkommene Eigenständigkeit im Alltag. Für Frau Wiedenmann war das die neue Perspektive. Und dieses Ziel war für sie wohl auch erreichbar, denn sie ist von der Hüfte ab gelähmt. Aber es war harte, unsäglich harte Arbeit. Ein beinahe militärischer Drill. Der Ehrgeiz wurde angestachelt. Der Wettbewerb. Keinen Durchhänger konnte man sich leisten, keine Niedergeschlagenheit. Sportliches Training bis zur völligen Erschöpfung – und weiter, weiter – vorwärts, vorwärts! Aber sie spürte ihre Beine nicht und die Füße waren so weit weg. Wie sollte sie sich nun ihre Strümpfe anziehen, wie schlüpft man mit unbeweglichen Füßen in die Schuhe? Schuhe mit hohen Absätzen? Nie mehr! Praktisch musste nun alles sein, damit man es ohne Hilfe bewältigen konnte. Aus dem Bett in den Rollstuhl ging’s ganz gut, aber wie kommt man wieder zurück? Und Barbara Wiedenmann lernte, lernte unermüdlich.

Heute ist sie eine wendige Rollstuhlfahrerin, die in ihrer Wohnung alleine zurechtkommt. Die Blumen auf der Terrasse versorgt sie ebenfalls selber. Ihre blauen Augen passen schön zu den hellgrauen, schulterlangen Haaren. Sie hat das offene Lächeln eines arglosen Kindes, das manchmal aus den freundlichen Augen der erwachsenen Frau leuchtet.

- Hatten Sie nie einen Zusammenbruch, einen psychischen Tiefpunkt nach Ihrem Unfall? Eigentlich nein, denn ich habe vom ersten Moment an um eine Rückkehr in ein normales Leben gekämpft. Ich war überzeugt, dass ich es schaffe! Und ich habe es geschafft.

Ihr ganzes Leben lang hat sie sich stets aufs Neue so eingerichtet, wie es nötig war, mit Fantasie und Tatkraft. Und so wird sie es auch in Zukunft halten, denn sie hat noch viel vor. Mit Ihrer Stiftung zum Beispiel. BARBARA-RAUCK-STIFTUNG „COMEBACK“ QUERSCHNITTGELÄHMTER.

- Warum heißt die Stiftung nicht so wie Sie?
Ich habe ihr meinen Mädchennamen gegeben, weil diese Stiftung ganz und gar mein Werk sein sollte. Was die Stiftung bezweckt, Querschnittgelähmten den Einstieg in ein neues Leben zu ermöglichen – sie wieder auf die Bühne des Lebens zurückzuholen – das ist mir eben ein wichtiges Anliegen!

Aber es geht nicht nur um Querschnittgelähmte. Das zeigt beispielsweise das Projekt, das, von Frau Wiedenmann angeregt, vom CBF in die Praxis umgesetzt und von der Barbara-Rauck-Stiftung finanziert wird: Eine Auflistung der barrierefreien Arztpraxen in und um München. - Damit soll wenigstens der Ansatz zu einer freien Arztwahl gegeben sein, sagt Barbara Wiedenmann. Dabei geht es natürlich in erster Linie darum, dass eine Arztpraxis überhaupt zugänglich ist. Aber ich muss auch einen Arzt finden, zu dem ich Vertrauen habe. Auch das und vor allem das bedeutet Wahlfreiheit!
Das klingt sehr rund und zielgerichtet und erfolgreich.

Aber gab es im Leben der Barbara Wiedenmann wirklich nie depressive Phasen? Hat sie nie gefragt, „Warum musste gerade mir diese Behinderung zustoßen?“ Wieso stürzte sie nie – wie so viele andere – in die Hölle von Selbstekel und Selbstzweifel, zumindest zu Beginn ihrer Rollstuhlkarriere? Woher kommt so viel Antriebskraft und Unbeirrbarkeit von Anfang an? - Vielleicht kommt das daher, dass ich mit einem älteren Bruder aufgewachsen bin, der unter epileptischen Anfällen gelitten hat. Ihm galt die unermüdliche Fürsorge und Aufmerksamkeit der ganzen Familie. Mir hingegen hat man als Kind immer nur gesagt „Mach mal, Du kannst das schon!“ Davon war das Kind sicherlich oft überfordert. Aber nach dem Unfall war es vielleicht genau die richtige Parole, um zu überleben. - Ich habe mir von Anfang an gedacht, das mach ich schon! Und dann hab ich es auch geschafft! Was mir schon weh getan hat, war, dass ich nicht mehr Skifahren und nicht mehr Tanzen konnte.

Aber dann hat Barbara Wiedenmann den Rollstuhltanz für sich entdeckt und war jahrelang eifrig dabei. - Ich wollte eigentlich Tänzerin werden. Hatte aber schon mal einen Reitunfall, der das verhindert hat. Aber sich elegant und geschmeidig bewegen, das kann man auch im Rollstuhl. Deshalb war ich auch froh, dass ich als Querschnittgelähmte nie diese schweren Gehstützen tragen konnte, die einem eine langsame, plumpe Gangart aufzwingen. Da fühle ich mich im Rollstuhl sehr viel freier und beweglicher. Und das ist für mich schon auch eine Frage der Ästhetik.
Barbara Wiedenmann reist sehr gern, schnorchelt leidenschaftlich und hat dafür einen Strandrollstuhl entdeckt, mit dem man problemlos ins Wasser gelangt. (Siehe Foto).Frau Wiedenmann im Strandrollstuhl

Die Adresse des Verleihers ist dem CBF bekannt. Zuhause in München kümmert sie sich unermüdlich um ihre Stiftung, mit der sie sich beispielsweise auch dafür engagiert, dass das Kreisverwaltungsreferat eine Gehwegmarkierung neben den Rollstuhlparkplätzen (besonders um die Fußgängerzone herum) anbringt, da viele Radfahrer ihr Rad ausgerechnet neben einem Behindertenparkplatz auf dem Gehweg abstellen. Sie tun das zwar ohne böse Absicht, aber absolut hinderlich für Rollstuhlfahrer ist es trotzdem, da sich die meisten von ihnen zum Bürgersteig hin aus ihrem Auto in den Rollstuhl hieven. Barbara Wiedenmann – eine lebenslustige, engagierte Behinderte also, die mit ihrer freundlichen Hartnäckigkeit schon viel erreicht hat.

Wie würden Sie sich selber einschätzen, Frau Wiedenmann, was für eine Frau sind Sie?
Ich habe unbegrenztes Selbstvertrauen. Deshalb bin ich bereit, auch ungewöhnliche Wege zu gehen, um mich wieder neuen Situationen anzupassen!

Ingrid Leitner