Als der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch die von ihm geleistete Beihilfe zum Selbstmord per Video dokumentierte und auch noch öffentlich machte, war die Entrüstung ebenso groß wie über das Vorgehen der Schweizer Gesellschaft Dignitas, deren Unterstützung eines selbstbestimmten (wie der Verein sagt) Sterbens seitens der Politik in der Bundesrepublik durch gesetzgeberische Maßnahmen eingeschränkt werden sollte, was aber letztendlich im Sande verlief. Wie schwer sich eben diese Politik mit einer klaren Regelung des letzten Abschnitts im Leben eines Menschen nach wie vor tut, zeigen die bis dato ergebnislosen Diskussionen um eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung, insbesondere von deren Bindungswirkung und Reichweite, wobei sich bezeichnenderweise jeder der unterschiedlichen Positionen parteiübergreifende Gruppen von Parlamentariern angeschlossen haben. Währenddessen ist es in den Niederlanden Ärzten aufgrund eines bereits 2002 in Kraft getretenen Gesetzes sogar möglich, Patienten auf deren Verlangen zu töten (also beispielsweise durch eine Giftspritze). Die Reaktionen der Öffentlichkeit zeigen ebenso sehr wie das Zaudern der Politik wie groß die Unsicherheit angesichts oft bestürzender Schicksale ist, wie individuell verschieden einzelne Sachverhalte beurteilt und wie emotional Lösungsansätze bewertet werden. Deshalb soll im Folgenden nach der Schilderung des ergreifenden, über Wochen ganz Italien bewegenden Schicksals der Eluana Englaro auch über die Begrifflichkeiten geredet werden, die den vielfältigen Diskussionen und Auseinandersetzungen zugrunde liegen.

Der Fall der Eluana Englaro

Als die gerade 21 Jahre alt gewordene Eluana Englaro aus Lecco am Comer See im Januar 1992 mit dem Auto ihres Vaters verunglückt, steht sie mitten im Leben: Eluana befindet sich noch in ihrer Ausbildung und hat wahrscheinlich genau die Hoffnungen, Wünsche und Träume, wie sie in diesem Alter und mit dem Wissen, die Welt offen vor sich zu haben, jeder junge Mensch so hat. Fotos aus jenen glücklichen Tagen, die in den vergangenen Wochen fast täglich in den italienischen Nachrichten zu sehen waren, zeigen neben dem Bild eines schönen Mädchens auch eine strahlende Jugend und ein zuversichtliches, einnehmendes Lachen. Mit dem 18. Januar 1992 wird jedoch alles anders: Eluana fällt in ein Wachkoma, überlebt zwar die ersten, von Neurologen als entscheidend angesehenen 48 Stunden, ohne aber in der Folgezeit auf verschiedenartigste Stimulantien zu reagieren. Viele Spezialisten bezeichnen den Zustand von Eluana ab jenem Zeitpunkt als irreversibel und befürworten aus diesem Grund eine Einstellung der Versorgung von Eluana mit Flüssigkeit und Nahrung.

Währenddessen verstreichen siebzehn Jahre, das vereinigte Deutschland beginnt zusammenzuwachsen, die Jahrtausendwende wird gefeiert, und Flugzeuge bringen das World Trade Center zum Einsturz. Das Regime der Taliban wird aus Afghanistan vertrieben und Saddam Hussein im Irak gestürzt, während Bush bis zuletzt unvermindert seinen Krieg gegen den Terror weiterführt, bis ihn Obama im Januar dieses Jahres ablöst. Während all dieser Jahre wird Eluana einmal am Tag aus dem Bett gehoben und in einen Stuhl gesetzt und über eine Kanüle wird ihr durch die Nase Essen und Trinken zugeführt. Die Patientin muss täglich mit Schwämmen gewaschen und alle zwei Stunden im Bett gedreht werden, während ihr Darm mittels eines Klistiers gereinigt wird. Ende der neunziger Jahre versucht der Vater, Beppe Englaro, sodann, bei Gericht eine Erlaubnis zur Einstellung der Flüssigkeits- und Nahrungsmittelzufuhr durch die Ärzte zu erwirken und beruft sich dabei auf den (mutmaßlichen) Willen der Tochter, die einmal nach dem Besuch eines Wachkomapatienten geäußert habe, niemals in einem solchen Zustand leben zu wollen. Im November 2008 erteilt die Corte d’appello (in etwa einem deutschen Oberlandesgericht entsprechend) von Mailand diese Erlaubnis, die dann auch von der Corte di Cassazione (also die dem Bundesgerichtshof entsprechende Instanz) bestätigt wird. Aber Italien wäre nicht Italien, wenn sich alle mit der Angelegenheit befassten Stellen entsprechend der getroffenen und unanfechtbaren Entscheidung verhielten und alle anderen dies zuließen, ohne sich selbst zu Rat und/oder Tat aufzuschwingen. Aufgrund des Einschreitens des italienischen Ministers für Welfare (der sich aufgrund dessen mit einer Strafanzeige konfrontiert sah) findet sich zuerst keine Einrichtung, die zu der gerichtlicherseits sanktionierten Vorgehensweise bereit ist.

Als sich dann Ende Januar doch eine Klinik in Udine bereit erklärt und Eluana Englaro dorthin verbracht wird, warten Befürworter und Gegner der geplanten, zum Tod von Eluana führenden Vorgehensweise vor dem Klinikeingang der Einrichtung, den sie in den folgenden Tagen nicht mehr verlassen sollten und strafen den Namen der Klinik Lügen – La Quiete bedeutet nämlich Ruhe oder Frieden.
Weder die Öffentlichkeit noch die Politik scheinen im mindesten bereit, den Dingen zu diesem Zeitpunkt ihren Lauf zu lassen: in Italien sind gleichermaßen 47 % für und gegen eine lebenserhaltende Versorgung von Eluana, der Vatikan versteigt sich zu der Behauptung, es handele sich um Totschlag bzw. um Euthanasie (wobei hier ein offensichtlich falsches Verständnis des Begriffs zugrunde liegen muss, wenn nicht ein bewusster Missbrauch desselben angenommen werden soll), und die Regierung Berlusconi versucht, mittels einer Notverordnung die bereits eingeleiteten Maßnahmen rückgängig zu machen. Als der Staatspräsident sich aus verfassungsrechtlichen Gründen weigert, eine solche Notverordnung zu unterzeichnen, und ein ernsthafter Konflikt zwischen den Verfassungsorganen droht, kommt Eluana einem politischen Showdown zuvor und stirbt am 9. Februar nach nur wenigen Tagen eingestellter Versorgung.
Die Ruhe währt jedoch wenig länger als die im Parlament eingelegte Schweigeminute, denn viele zweifeln einen ordnungsgemäßen, d.h. der zugrunde liegenden Entscheidung entsprechenden Abbruch der Versorgungsmaßnahmen an und verlangen eine Autopsie (die durchgeführt wird, aber ergebnislos bleibt) und der Justizminister behauptet, Eluana sei wegen eines Urteils gestorben (was wiederum der Richterverband als Missachtung des Rechtsstaats geißelt). Währenddessen ermittelt die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Vielzahl von Anzeigen gegen den Vater der Verstorbenen und in Italien gibt es nach wie vor keine rechtliche Regelung des so genannten testamento biologico (das in etwa der Patientenverfügung entspricht), so dass eine Wiederholung des unsäglichen Gezerres um ein Menschenleben dementsprechend nicht ausgeschlossen erscheint.
Man mag zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen und dadurch bedingt dem Herbeiführen des Todes von Eluana stehen wie man will – es hätte allen Seiten gut angestanden, Eluana die ihr zukommende Würde auch zuzugestehen.

Sterbehilfe und Euthanasie

Der Begriff Euthanasie kommt aus dem Griechischen, bedeutet wörtlich guter Tod (eu = gut und thanatos = Tod) und wurde ursprünglich als Entsprechung für die Bezeichnung „Sterbehilfe“ benutzt. Nachdem die Nationalsozialisten mit diesem Begriff aber ihre verquere Ideologie der Rassenhygiene und der tausendfachen Patientenmorde verbrämt haben, wird der in Deutschland allgemein als kompromittierend angesehene Ausdruck im Zusammenhang mit Sterbehilfe nicht benutzt. Jenseits der gerade in diesem Bereich sehr wichtigen Begrifflichkeiten wird die Sterbehilfe aber vor allem durch das Strafrecht geprägt: es steckt den Rahmen möglicher Rechtsfolgen für das eigene Handeln ab und bildet den notwendigen Ausgangspunkt jeglicher Diskussion über Änderungen. Dieser Rahmen ist nach dem Strafgesetzbuch (StGB) denkbar weit: der (selbstbestimmte) Selbstmord ist darin nicht unter Strafe gestellt, also sind auch Beihilfehandlungen straflos (Nach der Systematik des Strafrechts kann eine Beihilfehandlung nur dann bestraft werden, wenn sie sich auf eine strafbare Tat bezieht. Eben daran fehlt es aber hier.); im Extremfall ist hingegen eine Strafbarkeit wegen Mordes mit der Rechtsfolge einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe denkbar (etwa bei Habgier und Vorliegen einer Garantenstellung bzw. Mitwirkung an einem nicht selbstbestimmten Selbstmord). Bei dieser Bandbreite an möglichen Rechtsfolgen empfiehlt sich sodann eine Unterteilung in Fallgruppen:

Beihilfe zur Selbsttötung


Am einfachsten gestaltet sich in rechtlicher Hinsicht die Beihilfe zur Selbsttötung, die in diesen Fällen auch assistierter Suizid genannt wird. Mangels Straftat ist auch eine Mitwirkung daran –wie bereits dargelegt – straffrei. Allerdings zeigt sich in zweifacher Weise, wie schnell die Grenze zwischen straffreiem und strafrechtlich relevantem Handeln überschritten wird. Zum einen bedarf es nämlich der genauen Prüfung, ob wirklich ein selbstverantwortlicher Selbstmord vorliegt. Oft üben Dritte auf die betreffende Person Druck aus und lassen sie den eigenen Tod als einzig möglichen Ausweg erscheinen. Sollten sie in solchen Fällen eine Tatherrschaft innehaben, ist an mittelbare Täterschaft zu denken und damit an eine Bestrafung als Totschläger oder als Mörder. Zum anderen dürfen die zur Selbsttötung erforderlichen Wirkstoffe nicht durch einen Arzt verschrieben werden, der sich in einem solchen Fall eines Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz strafbar machen würde. Sobald der Selbstmörder zudem ein Stadium erreicht hat, in dem er sich nicht mehr selbst helfen kann, kommt eine Strafbarkeit des Helfers wegen unterlassener Hilfeleistung oder sogar eines Tötungsdelikts in Frage.

Indirekte Sterbehilfe

Falls einem Patienten schmerzstillende, aber gegebenenfalls lebensverkürzende Medikamente gegeben werden oder dieser im terminalen Stadium sediert wird, bezeichnet man dies als indirekte Sterbehilfe. Diese Form der Mitwirkung am Tod eines Patienten wird in der Rechtswissenschaft allgemein als strafrechtlich irrelevant angesehen, da es entweder bereits den Tatbestand eines Tötungsdelikts nicht erfülle oder zumindest gerechtfertigt sei. Die praktische Relevanz ist nach neueren medizinischen Erkenntnissen aber sehr gering, da sich eine Behandlung mit Opiaten oder Benzodiapinen regelmäßig nicht lebensverkürzend auswirkt.

Passive Sterbehilfe


Komplizierter gestaltet sich eine Beurteilung der passiven Sterbehilfe, da die Rechtswissenschaft darunter lediglich das Nichtergreifen oder Nichtfortführen lebenserhaltender Maßnahmen aus ethischen, medizinischen oder humanitären Gründen bei nichteinwilligungsfähigen Personen versteht, also wenn weder vorbereitende Gespräche stattfinden konnten noch eine Patientenverfügung vorliegt. Zwar befürworten 72 % der Deutschen eine passive Sterbehilfe in dem so verstandenen Sinn, wie stark persönliche, ethische und religiöse Überzeugungen hier aber aufeinander treffen, zeigen Fälle wie der der Eluana Englaro sehr deutlich. Doch damit nicht genug: Ein Alzheimer-Patient im Endstadium, der die Nahrung verweigert und der sich in einer im klaren Zustand niedergelegten Patientenverfügung gegen eine Magensonde ausgesprochen hat, dürfte nach der eben dargestellten Auffassung ebenso wenig durch eine solche ernährt werden, wie ein Komapatient nach einem Unfall künstlich beatmet werden dürfte, wenn er eben diese Maßnahme in seiner Patientenverfügung ausgeschlossen hat. Das dem nicht unbedingt so ist, wird jeder bestätigen können, der im Verwandten- oder Bekanntenkreis einen solchen Fall erlebt hat und in dem es maßgeblich darauf angekommen sein wird, was die Ärzte an therapeutischen Eingriffen befürworten und für notwendig erachten. Solange eine eindeutige gesetzliche Regelung der rechtlichen Relevanz einer Patientenverfügung fehlt, wird sich an diesem Zustand vermutlich nichts ändern. Zweckmäßigerweise sollte daher jegliches Nichtergreifen oder Nichtfortführen solcher lebenserhaltender Maßnahmen als passive Sterbehilfe im weitesten Sinn bezeichnet werden.

Aktive Sterbehilfe

Die aktive Sterbehilfe, insbesondere die Gabe von direkt tödlichen Medikamenten wie z.B. einer Überdosis eines Beruhigungsmittels, ist verboten und daher strafbar. Handelt der Täter auf Verlangen der betreffenden Person, ist auf eine im Strafmaß milder zu beurteilende Tötung auf Verlangen zu erkennen. Bei Fehlen eines solchen Verlangens und Vorliegen von Habgier kommt hingegen eine Bestrafung als Mörder und dementsprechend eine lebenslange Freiheitsstrafe in Betracht.

Die Übergänge zwischen den einzelnen Fallgruppen sind fließend und die Beurteilung einzelner Fälle wird wahrscheinlich immer umstritten bleiben. Das liegt aber weniger an der Unfähigkeit des Staates, hier klare Grundlagen zu schaffen, als am Aufeinandertreffen so unterschiedlicher Prinzipien wie Menschenwürde, Selbstbestimmung und staatlicher Strafanspruch, beeinflusst durch religiöse oder ethische Überzeugungen und den medizinischen Kenntnisstand.
Die Komplexität der Diskussion um das Thema „Sterbehilfe“ wird wohl am besten am Beispiel von Papst Johannes Paul II. deutlich: als bei diesem bereits eine Blutvergiftung diagnostiziert war, lehnte er eine Einweisung in die Gemelli-Klinik und demgemäß eine intensivmedizinische Behandlung ab. Papst Johannes Paul II. starb vielmehr in seinen Privatgemächern im Vatikan.

Wolfgang Vogl