In der letzten Ausgabe haben wir eine Stellungnahme des Bayerischen Kultusministeriums zur Verwirklichung der von der UN-Behindertenrechtskonvention vorgesehenen inklusiven Bildung abgedruckt, zu der wir einige Fragen gestellt haben.

Mittlerweile erhielten wir folgende Antwort:

1. Eine unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit der UN-Konvention besteht nicht. So hat der VGH Kassel in seinem Urteil vom 12.11.2009 (Az. 7 B 2763/09d) entschieden, dass die Vertragsbestimmungen in Art. 24 der Konvention derzeit keine innerstaatliche Geltung besitzen, soweit sie den Bereich des Schulwesens betreffen. Das Vertragsgesetz des Bundes vom 21. Dezember 2008 habe für den Bereich des Schulwesens keine Umsetzung der Bestimmungen in Art. 24 der Konvention in innerstaatliches Recht bewirkt, weil dem Bund insoweit die an die Gesetzgebungszuständigkeit anknüpfende Transformationskompetenz fehle. Auch erfüllen die Bestimmungen in Art. 24 der Konvention nach Auffassung des VGH Kassel nicht die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendbarkeit, da es ihnen an der hierfür erforderlichen Bestimmtheit fehle. Es handele sich in weiten Teilen um Programmsätze, wobei die Art und Weise sowie die Geschwindigkeit der Realisierung den Vertragsstaaten überlassen bleiben. Mit Urteil vom 18.01.2010 (Az. 6 B 52/09) hat auch das BVerwG klargestellt, dass die Konvention, soweit sie in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fallende Fragen regelt, der Transformation durch den zuständigen Landesgesetzgeber bedürfe und nach erfolgter Umsetzung insoweit dann die rechtliche Qualität irrevisiblen Landesrechts erlange. Vor ihrer Umsetzung in geltendes Landesrecht kann die Konvention daher bei der Geltendmachung subjektiver Ansprüche in schulischen Angelegenheiten nur im Rahmen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung bereits bestehender bundesoder landesrechtlicher Vorschriften herangezogen werden. Darüber hinaus handelt es sich um eine reine Staatenverpflichtung. Mit anderen Worten: Ansprüche ergeben sich nur aus dem geltenden Landesrecht.

2. Zum Verfahren der Anmeldung gilt derzeit Folgendes: Grundsätzlich sind alle Kinder zunächst an der Grundschule anzumelden (Ausnahme: wenn nach den Empfehlungen aus der vorschulischen Förderung eindeutig nur der Förderort Förderschule in Betracht kommt und die Eltern mit dem Förderort Förderschule einverstanden sind, kann unmittelbar eine Anmeldung an der Förderschule erfolgen). Die Grundschule prüft, ob sie den sonderpädagogischen Förderbedarf des Kindes - ggf. mit Unterstützung durch die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste der Förderschule - erfüllen kann. Falls dies bejaht werden kann, wird das Kind an der Grundschule aufgenommen. Falls die Grundschule nicht die Möglichkeit einer ausreichenden Förderung sieht, wird von der zuständigen Förderschule ein sonderpädagogisches Gutachten erstellt. Das sonderpädagogische Gutachten enthält u.a. eine Empfehlung zum geeigneten schulischen Förderort. Stimmen die Beteiligten dem im Gutachten vorgeschlagenen Förderort zu, erfolgt die Aufnahme des Kindes an der vorgeschlagenen Schule. Stimmen die Eltern dem vorgeschlagenen Förderort Förderschule oder die Grundschule dem vorgeschlagenen Förderort Grundschule nicht zu, übernimmt das Staatliche Schulamt das Verfahren. Das Schulamt kann weitere Gutachten und Stellungnahmen einholen. Auf Wunsch der Eltern wird die Frage des richtigen Förderortes in einem Termin mit allen Beteiligten mündlich erörtert. Stimmen die Eltern dem vorgeschlagenen Förderort nicht zu, können sie verlangen, dass das sonderpädagogische Gutachten durch eine überörtliche, unabhängige Fachkommission überprüft wird. Unter Würdigung der Stellungnahme der Kommission entscheidet dann das Staatliche Schulamt abschließend. Zustimmung des kommunalen Schulaufwandsträgers: Wenn Kinder mit Förderbedarf in den Förderschwerpunkten Sehen, Hören oder körperliche und motorische Entwicklung in die Grundschule aufgenommen werden sollen, kann der kommunale Schulaufwandsträger der Grundschule widersprechen, wenn für ihn erhebliche Mehraufwendungen entstehen würden. Eine Änderung des BayEUG zur Stärkung der Elternrechte ist geplant.

3. Grundsätzlich bietet ein inklusives Schulsystem Raum für Kinder aller Förderschwerpunkte. So lassen sich z.B. auch Kinder mit Down-Syndrom oft sehr gut integrieren; es gibt aber auch schwerst mehrfach behinderte Kinder, bei denen sich die Integration problematisch darstellt. Auch wählen Eltern von Kindern mit dem Förderschwerpunkt Hören oft bewusst die Förderschule, da in diesem Rahmen eine Kommunikation mittels Gebärdensprache möglich ist und diese Gruppenzugehörigkeit daher begrüßt wird. Bei der Frage des individuell bestmöglichen Förderorts sind daher stets die Umstände des Einzelfalls miteinander abzuwägen. Letztlich ist die Frage im Einzelfall zu beantworten, wobei das Kindeswohl stets im Vordergrund zu stehen hat. Dieser Grundsatz ist auch in der UN-Konvention verankert. So steht nach Artikel 7 Abs. 2 der Konvention bei allen Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche mit Behinderungen betreffen, das Kindeswohl im Vordergrund. Diese Bestimmung wiederholt und bekräftigt die Regelung in Art. 3 Abs. 1 Kinderrechtskonvention. Dies bedeutet, dass sowohl die Interessen des behinderten Schülers als auch seiner Mitschüler zu berücksichtigen sind. Es gilt, eine angemessene Förderung der Bildung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler in der Gruppe zu gewährleisen. Widerstreitende Interessen müssen jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des schulischen Umfelds zu einem angemessen Ausgleich gebracht werden. Es muss abgewogen werden, ob – trotz umfassender Unterstützungsmaßnahmen – bestimmte Konstellationen pädagogisch zu verantworten sind oder angemessene Alternativen ermöglicht werden können.

4. Ein Anspruch auf Aufnahme eines Kindes in eine Kooperationsklasse besteht nicht. Hierfür ist stets eine Abstimmung mit dem Sachaufwandsträger erforderlich. Auch besteht kein Anspruch auf Inanspruchnahme des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes (MSD). Dieser steht gemäß Art. 19 Abs. 2 Nr. 3 b) BayEUG nur „im Rahmen der verfügbaren Stellen und Mittel“ zur Verfügung. Der Zugang zur Regelschule in Form der Einzelintegration ist im Rahmen des derzeit geltenden Art. 41 Abs. 1 BayEUG möglich.

Carola Walla und Wolfgang Vogl