Als im November 1994 ein Brand die alte, aus dem 19. Jahrhundert stammende Herz-Jesu-Kirche in Neuhausen völlig zerstörte, ahnte wohl kaum einer, dass nur wenige Jahre danach an derselben Stelle ein religiöser Bau entstehen würde, dessen spirituelle Kraft weit über die Grenzen des Stadtviertels hinausreicht. Ist doch nach Auffassung so vieler die Zeit der Errichtung sakraler Bauten längstens vorbei und Religion allenfalls in den Gebäuden vergangener Epochen überzeugend erfahrbar.Als dann aber nach fast vierjähriger Bauzeit die vom Architekturbüro Allmann, Sattler und Wappner errichtete neue Herz-Jesu-Kirche im Oktober 2000 geweiht wurde, waren Erstaunen und Zustimmung groß, und die Herz-Jesu-Kirche gehört mittlerweile zu den meistbesuchten Gotteshäusern Münchens.

Selbstverständlich kann man die Kirche bei vielen Gelegenheiten besichtigen, nicht zuletzt dank vieler, der großartigen Akustik geschuldeter Veranstaltungen darin, was auch den Bayerischen Rundfunk dazu veranlasst hat, Teile seiner Reihe „Paradisi Gloria“ in dieser Kirche abzuhalten – die ideale Gelegenheit bietet jedoch die seit geraumer Zeit dort stattfindende Reihe „Offene Tore in Herz Jesu“.

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Diese in unregelmäßigen Abständen jeweils sonntags um 19.30 Uhr stattfindenden Abende (in den Monaten August und September jedoch nicht - am besten, man schaut im Internet nach oder ruft in der Pfarrei an) stehen unter dem Motto Sehen – Hören – Staunen und bieten jeweils eine Stunde eine ganz andere Erfahrung von Liturgie und Spiritualität durch unter einem bestimmten Motto stehende Texte und Musik. Eines vorweg: einen Besuch der Kirche sollte man nach Möglichkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln unternehmen, denn sie liegt mitten in einem dicht bebauten Wohngebiet und Parkplätze sind, wenn überhaupt, regelmäßig nicht in unmittelbarer Nähe zu finden. Doch der verkehrsmäßig gut erreichbare Rotkreuzplatz liegt nur wenige Hundert Meter entfernt und von dort gelangt man ohne besondere Schwierigkeiten (ein kurzes Stück Gehsteigs der Nymphenburger Straße, dann links in die Lachnerstraße) zur Kirche.

Auf diesem Weg, vorbei an modernen Zweckbauten und dann zunehmend an stattlichen mehrstöckigen Gründerzeitgebäuden, wird man nach kurzer Zeit zunächst auf eine Auflockerung des relativ dicht bebauten Gebiets aufmerksam. Diese fürs Auge wohltuende „Auflockerung“ entpuppt sich von Nahem dann bereits als Vorplatz der Herz-Jesu-Kirche, der außer mit einem Campanile (Glockenturm) und zwei Steinbänken nicht weiter „möbliert“ ist, die gesamte Aufmerksamkeit also auf den sich am Ende erhebenden Kirchenbau lenkt. Dabei handelt es sich um ein gläsernes quaderförmiges Gebäude mit einer 14 Meter hohen Frontseite und halbtransparenten Seitenwänden. Bereits der Anblick dieses Bauwerks ist sehr beeindruckend, nach Möglichkeit sollte man jedoch etwas früher als 19.30 Uhr kommen, nämlich bereits kurz vor sieben. Denn um diese Zeit öffnen sich die vorher geschlossenen riesigen Glasportale und heißen auf diese Weise die Besucher willkommen.

Nimmt man diese Einladung an, so gelangt man ohne Schwellen oder Stufen in das Gebäude (lediglich der Mechanismus, der das Öffnen der Tore ermöglicht, eine Art Schiene, bedingt eine geringfügige Erhebung beim Eintreten von vielleicht einem halben Zentimeter), in dem sich ein zweiter Kubus aus hellem Holzbefindet. Auch dieser weist – mit Ausnahme des Altarbereichs – keinerlei Stufen, Treppen oder sonstige Hindernisse auf, ist also auch für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer in allen Bereichen zugänglich. Ein heller Steinboden, helles Kirchengestühl sowie das Licht durchlassende, senkrecht stehende Lamellen als Seitenwände führen dazu, dass der Kirchenraum lichtdurchflutet ist und man aufgrund der sich im Inneren abzeichnenden Silhouetten von Bäumen und Nachbarhäusern fast meint, im Freien zu sein.

Um diesen Kubus herum führt ein Kreuzweg, der ebenfalls schwellenlos erreichbar ist und im Rollstuhl befahren werden kann und dessen verschiedene Stationen durch Fotos von der Via Dolorosa in Jerusalem dargestellt werden. Auch wenn der Kirchenraum durch eine bewusst reduzierte Formensprache auffällt, bedeutet dies nicht die Abwesenheit religiöser Symbolik. Beispielsweise sind die Seitenlamellen so angeordnet, dass die Helligkeit zum Altar hin kontinuierlich zunimmt, der Boden des Kirchenraums erzeugt Geborgenheit, indem er zum Altar hin abfällt (allerdings so mäßig, dass es mir beim Eintreten gar nicht und beim Verlassen der Kirche nur im Sinne eines etwas beschwerlicheren Hinausgehens aufgefallen ist – für Rollstuhlfahrer keinesfalls eine Schwierigkeit); und das Glas der Tore besteht aus zwei Schichten, wovon die erste mit stilisierten, sich an die Keilschrift anlehnenden weißen Nägeln die Passionsgeschichte aus dem Johannesevangelium darstellt, eine zweite Glasschicht dahinter mit blauen Nägeln zum Aufscheinen eines hellblauen Kreuzes führt. Am Ende der einstündigen Begegnung mit Musik und Texten haben sich die Tore in Herz Jesu bereits wieder geschlossen. Die Kirche kann man durch zwei im Hauptportal befindliche Schlupftüren zwar verlassen – eine nachhaltige Erinnerung an eine intensive Erfahrung wird aber bleiben.

Wolfgang Vogl