Betreff: CBF-Post Januar 2010  - Frage „Was meinen Sie?“

Seit Anfang der 60er Jahre wurde von den Medien (der Politik zudiensten) pro­pagiert:
Eine Mutter, die nicht berufstätig ist, ist kein vollwertiger Mensch!
„Arbeit“ wurde auf Tätigkeiten außer Haus, die besteuertes Geld einbringen, reduziert. Ende der 60er Jahre war es dann so weit, dass sich die Mehrzahl der Frauen nicht diesen Geist zu eigen gemacht hatten, sondern selbst sich zu Propagandistinnen entwickelt hatten. Die Emanzipationsströ­mung hatte kräftig mitgeholfen. Nicht nur Kinder überhaupt standen dabei im Weg, sondern erst recht Behinderte und ganz besonders behinderte Kinder. Viele Fami­lien schämten sich, ein behindertes oder gar (entsetzlich!) ein mehrfach behin­dertes oder gar ein geistig behindertes Kind bekommen zu haben! Immer wieder trafen wir auf Mütter, die ihr behindertes Kind zuhause versteckten, und sich selbst allein kaum auf die Straße wagten. „Die geht nicht arbeiten! Bei der ist was faul!“ Erwachsene Behinderte, sofern sie eine der so genannten Edelbehinderungen hatten (z.B. Querschnittsgelähmte, Unfall­opfer, Krebspatienten) wurden eher aner­kannt. Mit erwachsenen Geistigbehinder­ten, psychisch Erkrankten und chronisch Kranken (die man zu nichts gebrauchen kann) wollte die Mehrzahl der Edelbe­hinderten nichts zu tun haben. Auch sie standen ja unter einem ähnlichen Druck wie ihre Mütter. Nur wer Geld verdient taugt etwas! Und so kamen studierte Frauen tatsächlich in die Höhe.
Wir Müt­ter behinderter Kinder jedoch durften uns beschimpfen lassen als „arbeitsscheu“, „zu faul oder zu blöd zu arbeiten“ usw.! Nichtakademikerinnen mit gesunden Kindern kamen als Fabrikarbeiterinnen, Putzfrauen und Hilfsarbeiterinnen auch kleinweise vorwärts, indem sie sich als Fabrikarbeiterinnen, Putzfrauen und Hilfsarbeiterinnen „verwirklichten“.
Eine der ersten Vereinigungen, von denen wir Mütter behinderter Kinder hörten, war der CBF in München. Doch das war ja nur etwas für Erwachsene. Für uns gab es nichts. So mussten wir eben selbst aktiv werden. Wir hörten von einem Herrn Radtke in Regensburg, der ein erstes Treffen von Behinderten-Vereinigungen organisierte, einschließlich Reportern und Fernsehleuten. Das war ein wunderbarer Erfahrungsaustausch und gab Mut und Kraft. Es gab Rechte für Behinderte, aber sie waren zu wenig bekannt. Es gab vieles, das im Argen lag. Und es gab noch viel zu tun. Journalisten und Fernsehleute waren begeistert von all dem Unbekannten, den Problemen und den Ideen, die vor­gebracht wurden. Es wurde gefilmt.. Und es war nicht das einzige Mal, dass Bayern versuchte, die Initiativen und Aktivitäten mundtot zu machen. Man merkt vielleicht an meiner Ausdruckweise, dass ich in Erinnerung heute noch ärgerlich bin. Aber bestimmte Erlebnisse bleiben für immer haften.

Doch es gab auch Positives. Dr. Radtke zog nach München und es fan­den sich immer mehr zusammen. Bei den großen Treffen im Stadtmuseum war auch der CBF dabei und eine der größten und aktivsten Gruppen. Und wie man heute sieht, hat sich ungeheuer viel verändert! Doch was das alles war, könnte sicher Frau Dr. Ingrid Leitner besser erzählen, die auch von Anfang an dabei gewesen ist. Und mit den gesetzlichen Verbesse­rungen (nicht Errungenschaften der Poli­tiker, sondern der Behinderten selbst) und dem Barriereabbau und den Mög­lichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Leben ging die Gemeinschaftlichkeit der verschiedenen Behinderungen und viel­fältigen Erkrankungen Hand in Hand. Durch die von Beginn an zusätzlich betrie­bene Öffentlichkeitsarbeit ist auch das Zueinanderfinden von Behinderten und Nichtbehinderten in Gang gekommen. Heute versteckt auch keine normale Mut­ter ihr behindertes Kind und wird auch nicht mehr als arbeitsscheu beschimpft. Die Verbesserung im Leben und bei den Menschen sind nicht durch die so genannte „soziale“ Marktwirtschaft und den Kapitalismus zustande gekommen, sondern wie ein Wunder „trotzdem“! Durch Zusammenhalt, gegenseitiges Ver­ständnis und Ausdauer! Am besten wir machen so weiter.

Mir persönlich hat die Gemeinschaft von CBF und „Raus aus dem Haus“ sehr geholfen nach dem Tod meines Mannes! Ich glaube, so etwas darf man auch einmal sagen.

Anna Fleischmann

P.S.: Es ist zum junge Hunde kriegen! Mein „Was meinen Sie?“ ist schon wieder zu lang! Dabei habe ich so viel wegge­lassen! Beschimpfungen z.B.: Schmarot­zerinnen – Ehe-Sklave – ewig Gestrige – Dienstboten – Positives z. B. – Warum die Kinder der berufstätigen Mütter keine Kinder wollten, und warum sie als Helfer sich sehr unterscheiden von nicht berufs­tätigen Müttern als Helfer. Ich habe darin nun 23 Jahre Erfahrung mit Hunderten von Helfern.