In den vergangenen Jahrzehnten hat die Medizin erhebliche Fortschritte gemacht, was einerseits die durchschnittliche Lebenserwartung des Einzelnen stark ansteigen ließ, andererseits jedoch auch dazu geführt hat, dass immer mehr Menschen ab einem gewissen Zeitpunkt pflegebedürftig werden. Aus diesem Grund wurde zum 1. Januar 1995 die so genannte Pflegeversicherung eingeführt, die das bis dahin bestehende Sozialversicherungssystem ergänzt, indem es das spezifische Risiko einer Pflegebedürftigkeit im Rahmen einer umlagenfinanzierten Pflichtversicherung abdeckt und ein "Kernsicherungs-System" schafft, auf die dann der jeweilige Pflegebedürftige aufbauen kann. Nach immerhin dreizehn Jahren wurde jetzt das so genannte Pflegeweiterentwicklungsgesetz (PWG) von Bundestag und Bundesrat verabschiedet, so dass zum 1. Juli 2008 neben der Einführung zahlreicher die Pflege betreffenden Aspekten auch eine umfassende Reform der Pflegeversicherung in Kraft treten kann.

Was ändert sich mit der Pflegereform?

1. Beiträge und Leistungen


Wenn man sich die durch das PWG vorgesehenen Änderungen ansieht, so sind zunächst die fast jeden betreffenden zahlenmäßigen Änderungen bei den Beiträgen und Leistungen zu erwähnen: einerseits steigen die Beiträge um 0,25 Prozent des Bruttolohns (auf 1,95 Prozent bzw. 2,2 Prozent für Kinderlose), andererseits erhöhen sich auch die in den einzelnen Pflegestufen zu gewährenden Leistungen (die Beträge für ambulante Sachleistungen werden in der Pflegestufe I von 384 auf 450 Euro erhöht, in der Pflegestufe II von 921 auf 1100 Euro und in der Pflegestufe III von 1432 auf 1550 Euro, das Pflegegeld erhöht sich schrittweise in Stufe I von 205 auf 235 Euro, in Stufe II von 410 auf 440 Euro und in Stufe III von 665 auf 700 Euro, die Beträge für stationäre Pflege in den Stufen I und II bleiben hingegen gleich und werden lediglich in Stufe III bis 2012 schrittweise von 1432 auf 1550 Euro steigen, in Härtefällen von 1688 auf 1918 Euro).

Zwei Gesichtspunkte verdienen jedoch besondere Erwähnung, nämlich zum einen die jetzt eingeführte Leistungsdynamisierung und zum anderen die stärkere Berücksichtigung von Demenzkranken in finanzieller und personeller Hinsicht.
Der Gesetzgeber hat insoweit zutreffend erkannt, dass seit 1995 gleich gebliebene Leistungen vor dem Hintergrund der Inflationsrate während der zwischenzeitlich verstrichenen Jahre in ihrem Wert verfallen sind und damit zu einer wachsenden Inanspruchnahme von Sozialhilfe seitens von Pflegebedürftigen geführt haben.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, werden die zu gewährenden Leistungen neben der vorgesehenen Erhöhung ab 2015 dynamisiert und damit der allgemeinen Preisentwicklung angepasst. Bei Demenzkranken steigt der zusätzliche Betrag schließlich von 460 auf 1200 Euro bei geringem und auf 2400 Euro bei hohem Betreuungsbedarf. Daneben muss von den Pflegekassen in Heimen für je 25 Bewohner, die sich nur noch schwer zurechtfinden, eine zusätzliche Betreuungsassistenz finanziert werden.

2. Stärkung des Prinzips „ambulant vor stationär“

Die Erfahrung mit der 1995 in Kraft getretenen Pflegeversicherung hat zudem gezeigt, dass die große Mehrheit der pflegebedürftigen Personen so lange und soweit wie möglich zu Hause bleiben möchte, die Fortentwicklung der Pflegeversicherung und der dazugehörigen Strukturen wurde vom Gesetzgeber deshalb auch dahingehend ausgerichtet. In den einzelnen Stadtvierteln sollen so genannte Pflegestützpunkte eingerichtet werden, die für Pflegebedürftige und deren Angehörige als Art Bürgerbüro Anlaufstelle und bei allen Fragen im Zusammenhang mit der Pflege behilflich sein sollen.
Darüber hinaus besteht ab 2009 ein Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfe bei der Organisation der Pflege und Abwicklung aller Formalien durch die neu geschaffene Figur des Fallmanagers, der - soweit vorhanden - im jeweiligen Pflegestützpunkt tätig ist.
Die Palette wird schließlich durch eine Förderung betreuter Wohnformen vervollständigt, also beispielsweise von Wohngemeinschaften mehrerer pflegebedürftiger Personen, die ihre Betreuungsleistungen gemeinsam abrufen.

3. Einführung einer Pflegezeit

Analog zu der schon existierenden Elternzeit wird mit dem PWG jetzt eine Pflegezeit eingeführt: Angehörige von Pflegebedürftigen können eine bis zu sechsmonatige unbezahlte Freistellung von der Arbeit mit anschließender Rückkehrmöglichkeit in Anspruch nehmen (eine Ausnahme gilt allerdings für Unternehmen mit bis zu fünfzehn Beschäftigten) und für akute Fälle wird die Möglichkeit von bis zu zehn Tagen unbezahlten Pflegeurlaubs eingeführt.

4. Gewährleistung der Qualität der Pflege

Berichte über haarsträubende Zustände in Pflegeheimen werfen zu Recht die Frage nach der Notwendigkeit von Verfahren auf, die die allgemein zu verlangende und gleich bleibende Qualität der Pflegeeinrichtungen gewährleisten. Diesem Gesichtspunkt widmen sich eine Vielzahl von Regelungen. Das beginnt mit der nun vorgesehenen Verpflichtung von Krankenkassen und Pflegeeinrichtungen zu Einführung von Mindeststandards, geht über alle drei Jahre stattfindende Qualitätsprüfungen der Pflegeeinrichtungen (so genannte Regelprüfungen) mit anschließender Veröffentlichung der Prüfberichte und endet mit jährlichen, im Regelfall unangemeldeten Stichprobenprüfungen. Daneben werden durch die Pflegeeinrichtungen erzielte Erfolge (d.h. das Erreichen einer niedrigeren Pflegestufe) honoriert, bürgerschaftliches Engagement in der Pflege gefördert und die Stellung des Pflegepersonals gestärkt.

5. Möglichkeit von privaten Pflege – Zusatzversicherungen

Die Bundesregierung sieht – wie bereits erwähnt - die gegenwärtige Pflegeversicherung als bloßes Kernsicherungssystem, sieht es also als notwendig an, dass die Betroffenen zu den staatlicherseits gewährten Leistungen auch ihren Beitrag zur Sicherstellung der eigenen Pflege leisten. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, wenn die Pflegekassen die Möglichkeit erhalten, private Pflege – Zusatzversicherungen einzuführen.

Wie ist die Pflegereform zu beurteilen?


Es wurde in der bisherigen Darstellung bewusst auf eine Bewertung der im einzelnen vorgesehenen Neuerungen verzichtet, da erst die Umsetzung derselben in die Praxis Stärken und Schwächen der neuen Regelungen zeigen wird. Dies gilt selbstverständlich auch für die von Oppositionspolitikern und Verbänden vorgebrachten Kritikpunkte. Allein der Umstand, dass nach über dreizehn Jahren wieder intensiv über Pflege nachgedacht wurde, sollte aber bereits als Erfolg gewertet werden. Dass das jetzige Pflegeweiterentwicklungsgesetz aber keinesfalls der große Wurf geworden ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass eine Finanzierung lediglich bis 2014/2015 gewährleistet ist. Spätestens dann muss sich der Gesetzgeber also etwas Neues einfallen lassen.

Wolfgang Vogl