Als ich 1985 beim CBF München (damals noch CeBeeF München) zu arbeiten anfing, lernte ich Ingrid Leitner kennen, sie sollte dann bis 2015, wo ich in Rente ging, meine Vorgesetzte sein. Ich fand es immer anregend und fruchtbar mit ihr zu arbeiten und mich auszutauschen, zuletzt war unser Verhältnis ein eher freundschaftliches. Ingrid Leitner verstand es Mitstreiter mit und ohne Behinderung um sich zu sammeln. Sie war brillant, konnte sehr witzig sein und war eine imposante Erscheinung. Und es war ihr wichtig, dass Menschen mit Behinderungen ein gleichwertiges und selbstbestimmtes Leben führen können sollten, daran hat sie gearbeitet.  

Im Alter von 14 Jahren bekam sie Polio und verbrachte daraufhin Jahre in der Eisernen Lunge. Aber sie war zäh, bestand schließlich das Begabtenabitur (an einen Schulbesuch war natürlich nicht zu denken). Und studierte dann Germanistik und Kunstgeschichte. Ohne tatkräftige Unterstützung ihrer Eltern hätte sie das damals nicht geschafft, denn die LMU war überhaupt nicht barrierefrei. Das Studium schloss sie mit einer Dissertation ab. Anschließend gelang es ihr beim BR eine Anstellung als Kulturredakteurin zu ergattern. Dafür bewunderten sie viele.  

 

Obwohl die Satzung des CBF keine Vorsitzenden vorsieht, es sind alle Vorstandsmitglieder gleich geschäftsführend und damit gleich verantwortlich, war sie immer „unsere Vorsitzende“. In vielen Dingen war sie Vorreiterin, bereits in den 1980er Jahren bereiste sie mit Freunden die damalige Sowjetunion bis in ihre hintersten Winkel. Deshalb war ihr das Thema barrierefreies Reisen immer so wichtig, weil sie selber so gerne verreiste. Und der CBF München hatte in den 1980er und 90er Jahren eine sehr umfangreiche Datei zu barrierefreien Quartieren, damals noch ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Eigentlich ist es unmöglich all das aufzuzählen, was der CBF zu der Zeit, als sie im Vorstand war, auf die Beine gestellt hat.  

Deshalb möchte ich nur von einer Sache berichten, die ihre Herzensangelegenheit war: Wir suchten schon lange nach einem Partner mit dem wir unser „Projekt inklusives (damals nannten wir es noch integriertes) Wohnen und Arbeiten für Menschen mit Behinderung“ verwirklichen konnten. In dieser Situation lernten wir die damals neugegründete Genossenschaft WOGENO kennen und das passte ideal. Denn wir wollten gar kein Eigentum erwerben, uns waren die Organisationen suspekt, die sich ihre „Denkmäler“ bauen mussten. Die bei der WOGENO übliche Beteiligung der zukünftigen Bewohner an der Planung des Hauses kam uns dabei entgegen und so konnten wir unsere Vorstellungen verwirklichen: Ein rundum barrierefreies Haus mit eingestreuten Rollstuhlwohnungen und barrierefreien Arbeitsstätten, eine davon unser Büro. Sogar über 2 Aufzüge verfügt das Haus, falls einer mal ausfallen sollte. Durch unsere guten Beziehungen zum Sozialreferat gelang es uns mit der WOGENO den Zuschlag für das Grundstück an der Johann-Fichte-Str. zu bekommen, ein absolutes Filetstück in städtischer und doch grüner Lage gleich beim Ungererbad.  

Ingrid Leitners Interesse daran war auch ein persönliches, denn sie wollte dort eine Wohnung beziehen, wo sie mit ihren Helferinnen, die sie rund um die Uhr versorgten, leben konnte. In der Pfennigparade, wo sie bis dahin wohnte, hielt sie es immer weniger aus, da sie die dortige Situation als bedrückend und ghettohaft empfand. Unter vielen Menschen mit Behinderung und Pflegebedarf sprach sich schnell herum, wie gut sie ihr Leben mit Helferinnen managte und so einige kamen zu mir in die Beratung und wollten genau das gleiche. Was man aber dabei nicht sehen konnte, war der ganze Aufwand an Organisation, die Nachweise der geleisteten Pflegestunden, der stetige Ärger mit dem Sozialamt und auch, wie frustrierend es war, wenn sie mal wieder nach neuen Helferinnen suchte. Dies alles erforderte eine sehr starke Persönlichkeit.  

Carola Walla