Früher hätte jetzt jeder gefragt: wovon redet er, was ist „es“? Man hätte vermutet, es ginge um den lange ersehnten Lottogewinn, die erhoffte Beförderung oder die lebenslang angestrebte Erkenntnis über den Sinn des Lebens. Da sich vom Morgenmagazin über die Tagesschau mit den täglichen Sondersendungen bis zu den Talkrunden mit Markus Lanz und Maybritt Illner alles nur um ein Thema dreht, muss das meistgebrauchte Wort der letzten Wochen hier nicht mehr genannt werden.

Wir wundern uns eher darüber, wie ein hundertfach behandeltes, um nicht zu sagen „durchgekautes“ Thema immer wieder gebracht wird. Dann sitzen wir in unseren Tonnen, jeder sein eigener Diogenes, und hören von den Virologen, dass sich das unscharfe Bild der Bedrohung nun immer klarer abzeichnet. Und wir hören, dass wir mit viel Disziplin die befürchtete Katastrophe abgewendet haben.
Eine andere positive Entwicklung zeichnet sich ab: dass die Politik den führenden Wissenschaftlern nun zuhört. Angesichts der schon im Frühling herrschenden Trockenheit wollen wir rufen: „Hätte sie das beim Thema Klimawandel nur schon früher getan!“
Und wir sehen, dass sich hinter mancher Kruste der Polarisierung und Hartherzigkeit viele Beispiele von Solidarität zeigen. Die gegenseitige Hilfe ist nötig und sie wird geboten. Auch die Industrie hilft, wenn auch nicht selbstlos: manche Betriebe haben ihre Produktion von ganz anderen Produkten auf die Schutzausrüstung umgestellt, auf die wir alle warten.
Sollten wir nicht anerkennen, dass nun mancherorts die Luft klarer ist? Weniger Autos, Flugzeuge und eine herunter-gefahrene Industrie waren das, was das Klima gerade brauchte. Die Natur holt nochmal Luft. Sollten wir dem ungenannten kleinen Ding nicht dankbar sein, dass es diese Prozesse in Gang gebracht hat?
Wir sind zwar nicht auf LOS zurückgegangen, aber wir haben eine weitere Chance, darüber nachzudenken, ob alles, was wir in den letzten Jahrzehnten angesammelt haben, wirklich notwendig war. Vielleicht ist eine Folge dieser bedrückenden Zeit, dass wir künftig beim Einkaufen erst zugreifen, nachdem wir uns gefragt haben, ob wir den Artikel wirklich brauchen. Wenn die Krise dazu führt, unsere Gier um eine Stufe auf „Bedarf“ zurückzufahren, müssten wir dem ungenannten Virus dankbar sein, daß es uns auf ein Problem aufmerksam gemacht hat. Wer hätte es sonst getan?

Werner Graßl