Szene aus dem Film „Die Stadt ohne Juden“ (Österreich 1924), Ausweisung der Juden aus der Stadt | © Filmarchiv Austria
Im Jahre 1922 schrieb der österreichische Autor Hugo Bettauer den Roman „Die Stadt ohne Juden“, der Vorlage für den1924 erschienenen Stummfilm gleichen Namens wurde. Darin wird in der stark polarisierten Gesellschaft der Stadt Utopia  die dort lebende Minderheit der Juden zunächst als Sündenbock für bestehende Missstände ausgemacht. Deren Ausgrenzung wird von der Mehrheitsbevölkerung nicht nur hingenommen, sondern in zunehmendem Maße befürwortet und die Behandlung der jüdischen Minderheit immer brutaler. Sie endet schließlich mit ihrer Ausweisung. Die filmische Realisierung mit aus Utopia abfahrenden Zügen und aus der Stadt ausziehenden, langen Menschenkolonnen lässt uns Nachgeborene zwangsläufig an die Shoah und den Grauen der antisemitischen Vernichtungspolitik denken, die nur wenige Jahre später in Deutschland wütete. Film und Buch werden deshalb häufig als Prophetie des dann folgenden Geschehens gesehen, doch das waren sie nicht: Auschwitz war so unvorstellbar, die mörderischen Vorhaben der Nationalsozialisten so ungeheuerlich, dass sie keinesfalls als Vorahnung mitschwingen. Buch und Film  haben denn auch ein Happy End: nach zahlreichen Volten und Intrigen wird die Rückkehr der Juden nach Utopia beschlossen und der erste zurückkehrende Jude von der Bevölkerung euphorisch begrüßt.
Dieser Film ist Grundlage und Ausgangspunkt für die derzeit (30.05.-10.11.2019) im NS-Dokumentationszentrum zu sehende Ausstellung „Stadt ohne. Juden, Ausländer, Muslime, Flüchtlinge“. Anhand von Ausschnitten des Films – dessen vollständige Fassung nebenbei bemerkt erst 2015 zufällig auf einem Pariser Flohmarkt entdeckt wurde – werden die einzelnen Stufen der Ausgrenzung der jüdischen Minderheit bis zu ihrer Ausweisung aufgezeigt und dann mit der Entwicklung der Judenverfolgung im Nationalsozialismus und mit Tendenzen in der Nachkriegszeit bis heute verglichen. Dieser Vergleich ist in zweifacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen finden die im Film beschriebenen Verhaltensweisen und Mechanismen im Nationalsozialismus und auch in der Gegenwart ihre Bestätigung. Es handelt sich somit um eine präzise Analyse, wie Prozesse der Ausgrenzung und Entrechtung ablaufen und wohin sie führen. Zum anderen wird deutlich, dass dies auch in unserer polarisierten Gesellschaft jederzeit möglich und  teilweise auch jetzt zu beobachten ist. Viele Parallelen zwischen Nationalsozialismus und heutigen Ereignissen drängen sich auf. So benutzt etwa die AfD exakt die gleiche Sprache wie die Nationalsozialisten mit der Verwendung des Ausdrucks „judenfrei“, wenn sie auf Wahlplakaten „Islamfreie Schulen“ propagiert.   
Das Schicksal Hugo Bettauers sowie das der mit Ende des Zweiten Weltkriegs befreiten Juden beschließen die Ausstellung: Hugo Bettauer wurde 1925 von einem nationalsozialistisch gesinnten Attentäter in seiner Redaktion niedergeschossen und erlag eine Woche später seinen Verletzungen. Der zu einer unverständlich milden Strafe verurteilte Attentäter gab noch Ende der Siebziger Jahre im ORF ein Interview, in dem er seine Tat als richtig (!) verteidigte. Während  in „Die Stadt ohne Juden“ am Ende die Juden nach Utopia zurückkehren durften und dort sogar überschwänglich begrüßt wurden, war dies im Fall der befreiten Juden nach dem Ende des Nationalsozialismus keineswegs die Regel. Einige sehr emotionale Erinnerungsstücke belegen dies eindrucksvoll. Die euphorische Begrüßung heimkehrender Juden war eben leider doch nur das Happy End eines Films.
Wolfgang Vogl