Jedes Jahr wird der deutsche Schulpreis von der Bosch- und der Heidehof-Stiftung vergeben. Gerade laufen wieder die Bewerbungen für den Schulpreis 2019. Das ist insbesondere für den CBF interessant, weil auch er von der Heidehof-Stiftung gefördert wird. Was bzw. wer genau wird da mit dem Preis ausgezeichnet? Was wird hier unter Inklusion verstanden?

In manchen Bundesländern bedeutet Inklusion lediglich, dass mit einem Mal LehrerInnen Kinder mit Behinderungen in ihren Klassen unterrichten sollen und dafür lediglich zwei Einführungsseminare erhalten. Sie erhalten aber keinerlei Unterstützung durch eine zusätzliche Lehrkraft, drei Stunden die Woche kommt nur ein Förderlehrer, um mit den behinderten Kindern zu arbeiten. Aber die Lehrkräfte unterrichten ja nicht nur Kinder mit Behinderungen, sondern auch Kinder, die emotionale und soziale Probleme haben sowie Kinder von Migranten, die deutsch nur schlecht oder so gut wie gar nicht sprechen. Kein Wunder, wenn Lehrer Inklusion nur als zusätzliche Belastung empfinden. Viele Bildungspolitiker sprechen bereits davon, dass die Inklusion, auf die sich 2008 der Bundestag mit der Verabschiedung der Behindertenrechtskommission geeinigt hatte, gescheitert sei, weil kaum ernsthafte Bemühungen in Gang gesetzt wurden.

Da ist der deutsche Schulpreis der Bosch- und der Heidehof-Stiftung ein Gegenbeispiel, da er nämlich nachweist, dass Inklusion durchaus möglich ist. Dabei sind  oft wenig finanzielle Mittel nötig, dafür aber sehr viel Engagement und Leidenschaft von Seiten der Lehrkräfte und Eltern, die auch die Möglichkeit haben, eigene Entscheidungen zu treffen.  

Letztes Jahr hat den Deutschen Schulpreis die Martinschule in Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern erhalten, eine evangelische Schule, in der von der Grundschule bis zum Abitur unter einem Dach unterrichtet wird.

Ursprünglich war sie eine evangelische Einrichtung für Kinder mit einer geistigen Behinderung, denn in der DDR galten diese Kinder als nicht schulbildungsfähig. Das bedeutete, dass es keine staatlichen Schulen für sie gab. Lediglich die Kirchen nahmen sich der Aufgabe an, diese Kinder zu fördern. Erst 1992 bekamen auch sie ein Recht auf Schulbildung. Die Martinschule ist den umgekehrten Weg gegangen wie die meisten anderen Schulen in Deutschland. Sie öffnete sich, so dass die Schule für geistig Behinderte mit einer Regelschule zu einer guten Schule für Alle verschmolz. Der nächste Schritt war dann die Ergänzung um den Bildungsgang einer integrativen Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe. Von der Grundschule bis zum Abitur konnten nun alle gemeinsam in eine Schule gehen.  

Das heißt aber, dass vieles neu entwickelt und erprobt werden musste und muss. Der Leitspruch der Schule ist programmatisch: „Wir machen Schule – evangelisch, weltoffen, inklusiv, reformpädagogisch, ganztägig.“

Das sieht erst einmal so aus: Bis zur 7. Klasse lernen maximal zwölf Kinder, ganz gleich, ob hochbegabt, mit Behinderung oder als „Regel“-Schulkind in einer sogenannten Stammgruppe. Sie haben (wie bei uns in den Grundschulen) eine Lehrerkraft in allen Fächern. Die behinderten Kinder werden in der Regel von Integrationshelfern begleitet, die auch die Lehrer unterstützen.

Jedes Kind hat seinen eigenen Lehrplan, mit dem es die Aufgaben für die Woche plant und umsetzt, dabei werden Kinder mit Hilfebedarf von Kindern, die leistungsstärker sind, unterstützt.

Die Leistungen der Kinder der Martinschule liegen weit über dem Landesdurchschnitt für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Auch die Ergebnisse der zentralen Abiturarbeiten und der mittleren Reife liegen seit Jahren über dem Landedurchschnitt.  

Alle Kinder erhalten ein Abschlusszeugnis. Falls sie nicht eines der offiziellen Zeugnisse bekommen können, erhalten sie auf jeden Fall ein schulinternes Abschlusszeugnis.

Davor gibt es aber für diese Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf noch jahrgangsübergreifende Förderprojekte: In der Schülerfirma „Häppchen & Co“ z.B. bereiten ältere Schülerinnen und Schüler für die Grundschulkinder täglich ein Frühstück zu. Dabei lernen sie neben der Zubereitung der Lebensmittel auch das Einkaufen, die Planung und den Umgang mit Geld.

Ein anderes Projekt heißt „Wohnungstraining“: Hier werden „Selbstwirksamkeit und Teilhabe für den Alltag“ erlernt. Dazu hat die Schule eine Vierraumwohnung angemietet, in der die SchülerInnen Wäsche waschen, Zimmer gestalten, sauber machen, Tisch decken usw. Außerdem ließ die Martinschule einen Teil einer alten Kaufhalle in ein Abschlussstufenzentrum umbauen, in dem die SchülerInnen auf ihr Leben nach der Schule vorbereitet werden.

Selbst in der Martinschule ist das Prinzip der Inklusion nicht unumstritten. Das Ziel einiger Lehrkräfte, die Inklusion innerhalb der Schule auch noch auf Jahrgangsstufe 8 und 9 auszudehnen, stößt im Kollegium nicht nur auf Zustimmung. Denn das ganze Konzept fordert viel Zeit und Hingabe von den einzelnen Lehrkräften. Aber die Ergebnisse geben bisher dem Schulkonzept recht und außerdem werden in der Schule die Entscheidungen immer zusammen mit den Lehrern gefällt und sie werden bei Belastungen auch unterstützt.  

Wir wünschen der Martinschule noch weiterhin viel Erfolg auf ihrem Weg und uns allen PädagogInnen, die sich von diesem spannenden Schulprojekt anstecken lassen. Lernen und Spaß müssen kein Widerspruch sein, das zeigt uns die Martinschule!  

Carola Walla