Hinter der Abkürzung EUTB verbirgt sich das Konstrukt der „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“. Diese ist Bestandteil des am 23.12.2016 verabschiedeten Bundesteilhabegesetzes, mit dem mehr Möglichkeiten und mehr individuelle Selbstbestimmung durch ein modernes Recht auf Teilhabe und die dafür notwendigen Unterstützungen geschaffen werden soll. Es wird davon ausgegangen, dass mit der vorgesehenen „Individualisierung von Leistungen für Menschen mit Behinderung“, ein zunehmender Beratungsbedarf einhergeht. Folgerichtig werden nach §32 des Sozialgesetzbuches IX Finanzierungsmittel zur Einrichtung eines von Leistungsträgern und Leistungserbringern unabhängigen und niederschwelligen Beratungsangebotes zur Verfügung gestellt. Darüber sollen vor Inanspruchnahme konkreter Hilfen mögliche Orientierungs-, Planungs- und Entscheidungshilfen aufgezeigt werden, welche die individuelle Persönlichkeit und die Lebenssituation des Ratsuchenden aufgreifen und sein gesamtes soziales Umfeld mit einbeziehen. So soll die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung der Betroffenen gestärkt werden.
Nun könnte man meinen, dass dieses Ziel im Bundesland Bayern durch die Dienste der „Offenen Behindertenarbeit (OBA)“, die flächendeckend existieren, auch bislang schon bestens bedient wurde und hier lediglich „alter Wein in neuen Schläuchen“ offeriert wird. Weit gefehlt! Abgesehen davon, dass es in anderen Bundesländern keine der OBA vergleichbaren Strukturen gibt, sieht die neue Förderrichtlinie vor, dass die Leistung nach der „Peer-Counseling-Methode“ erbracht wird. Das bedeutet, dass Menschen mit Behinderung durch ebenso beeinträchtigte Personen beraten werden sollen. Ein spannender Ansatz, unter anderem auch deshalb, weil er auf dem - ohnehin für Menschen mit Behinderung schwierigen - regulären 1. Arbeitsmarkt eine Vielzahl neuer Stellen schafft! Bundesweit sollen so circa 600 Vollzeitstellen für diesen Personenkreis geschaffen werden.
Ziel der Dienste ist es, dass die dort beratenen Betroffenen in die Lage versetzt werden, selbst zu entscheiden, ob, wann, wo und in welcher Art und Weise Unterstützung benötigt wird. In der Fachwelt wird dieser Vorgang als Selbstermächtigung (oder auf Englisch: Empowerment) bezeichnet. Die eingesetzten Berater sollen eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem Ergebnis der Bejahung und Akzeptanz der eigenen Beeinträchtigung durchlaufen haben und sie werden in Techniken der Gesprächsführung und in sozial-rechtlichen Belangen geschult. Der oder die in der Beratungsmethodik Geschulte nimmt dabei die Fähigkeiten und Ressourcen der Ratsuchenden in den Blick, nicht seine eventuellen Schwachstellen. Da laut Richtlinie die Berater idealerweise auch über eine einschlägige (Hochschul)-Ausbildung verfügen sollen, bleibt abzuwarten, ob derartig viele Menschen mit Behinderung mit diesen Voraussetzungen dem Arbeitsmarkt und damit den Anstellungsträgern überhaupt zur Verfügung stehen. Sicher ist, dass diejenigen, die diese Voraussetzungen erfüllen, zu Recht äußerst begehrte Bewerber sein dürften.
Welche Qualität solch ein Beratungsangebot darstellen kann, durfte ich im vergangenen Jahr mehrmals „live“ erleben. Unser Jahrespraktikant Julian Schorr - selbst im Rollstuhl sitzend und ausgestattet mit einem persönlichen Assistenten – begleitete mich bei zahlreichen Beratungen und übernahm nach und nach Gespräche sowie Teile der Informationsvermittlung. Obwohl ich in der Behindertenarbeit über 30 Jahre Erfahrung angesammelt habe und mit den meisten Beratungsinhalten bestens vertraut bin, war es doch bemerkenswert, wie begierig Informationen auf- und angenommen wurden, wenn sie von Julian präsentiert wurden. Der Begriff „Glaubwürdigkeit“ trifft diesen Vorgang wohl am besten. Meine Beratung war gekennzeichnet von einer „lange und mühsam“ erworbenen fachspezifischen Informationsdichte eines augenscheinlich nicht behinderten Menschen. Hinweisen und Tipps von Julian lag dagegen die gelebte Praxis einer gelungenen Lebensbewältigung zugrunde!
Für mich eine wunderbare neue Erfahrung und zugleich Anlass in der Diskussion mit unserer Vorstandschaft dafür zu werben, dass wir als „unseren Hut in den Ring werfen“ und uns für eine dieser neu einzurichtenden Stellen bewerben. Gesagt – getan, bereits im August des vergangenen Jahres haben wir unseren Antrag gestellt, bisher jedoch keinerlei Rückmeldung erhalten. Angesichts des Faktes, dass die entsprechenden Stellen bereits zum 01.01.2018 ihre Arbeit hätten aufnehmen sollen, erstaunte uns das doch sehr. Zwischenzeitlich haben wir jedoch erfahren, dass - im Gegensatz zu anderen Bundesländern - in Bayern noch kein einziger Dienst geprüft wurde, respektive eine Bewilligung erhalten hat. Angesichts der laut Förderrichtlinie doch sehr präzisen Anforderungen an mögliche geeignete Anstellungsträger würde es uns allerdings doch schwer verwundern, wenn wir als CBF mit unserer Historie und dem notwendigen „Stallgeruch“ (der Selbsthilfe- / -vertretung) nicht zum Zuge kommen würden. Drücken Sie uns die Daumen. In jedem Fall werden wir vom weiteren Verlauf berichten!
Beste Grüße aus dem CBF-Büro
Ihr/Euer Peter Pabst