Das Wandern ist nicht nur „des Müllers Lust“ - wenn Engel reisen, dann lacht der Himmel!

Rollstuhlwanderung am 14.10.2017 mit Michaela Schlereth, Biene und Detlef. Es war wie im Sommer, blauer Himmel, 20 Grad, den ganzen Tag, zum Fotografieren schön, unsere Laune entsprechend. Ich, die ich noch nicht lange dabei bin, wunderte mich sowieso über die Selbstverständlichkeit der nicht kleinen Gruppe. Alles war ruhig und fröhlich. Es wurde gelacht, gescherzt und interessiert alles aufgenommen, die Natur bewundert. Jedes Klo auf der Strecke wird auf Tauglichkeit, Behindertengerechtigkeit, Sauberkeit etc. eingehend besprochen und geprüft. Ich bin begeistert. Alle machen mit. Für mich tat sich die Frage auf, wie steht es mit dem Verständnis der Mitmenschen?  

Eigentlich sind sie rücksichtsvoll und freundlich. Jogger weichen aus, lächeln einem zu, so ist es im Großen und Ganzen. Es gibt aber auch einzelne Ausnahmen. So geschehen, als wir in den Biergarten am wunderschönen silberglitzernden See einkehrten und uns aufteilen mussten, da nur an verschiedenen Tischen vereinzelt Plätze frei waren. In unserer Abgeklärtheit meisterten wir auch das mit Bravour. Unserer guten Laune tat dieses keinen Abbruch. Zu viert hatten wir Platz gefunden, Coralie im Rollstuhl, Felix, mein Schieber, Hanne Kamali, unsere Restauranttesterin und auch ich im Rollstuhl - uns ging es richtig gut. Nebenbei gesagt, trotz des riesigen Andrangs an diesem sonnigen Oktobertag war das Essen ausgezeichnet, die Getränke sehr gepflegt, das sich abhetzende Bedienungspersonal freundlichst, alles stimmte.

Dann kam meine Stunde. Meinem „rheinischen Auge“ entgeht so schnell nichts, wenn es sich um Situationskomik handelt. Ein hochgestyltes Ehepaar mittleren Alters mit Baby, Kindermädchen und stylischem kalbgroßen Hund nahm unmittelbar neben uns Platz. So schön, so gut, jeder kann sich stylen, wie er will. Das Baby im angesagten hellgrauen Designeranzug wurde über den Tisch dem Kindermädchen gereicht, der Vater, mittleren Alters, hatte uns entdeckt und gab, ohne uns aus dem Blick zu lassen, seiner jungen Frau laufend Anweisungen, wie sie den Kinderwagen zu stellen hatte. Dem großen Hund war in der Enge nicht wohl, zumal auch Herrchen ständig sein knallrotes Wappenhundegeschirr ordnete, damit die Embleme immer sichtbar waren. Auch hierbei gelang es ihm, uns nicht aus den Augen zu lassen. Er konnte mit unserer fröhlichen Runde nichts anfangen. Dann kam jedoch meine Coralie, die ein Fußballspiel verfolgte und bei jedem Erfolg ihres Vereins Jubelrufe von sich gab, die sich gewaschen hatten. Der Designervater verstand die Welt nicht. Er konnte uns nicht einschätzen. Er schwankte zwischen „Wo kommen die wohl her, sind die geistig nicht auf der Höhe, dürfen die heute einmal an die frische Luft, oder was?“ Auf jeden Fall ließ er penetrant nicht ein einziges Mal den Blick von uns. Sein Gesichtsausdruck änderte sich von Ratlosigkeit bis hin zu tiefster Abneigung und Unverständlichkeit uns gegenüber. Dann jedoch kam meine Stunde, als Hanne Kamali mit der größten Selbstverständlichkeit ihren Zollstock herausholte und anfing, den Tisch zu vermessen: Höhe, Breite, Länge. Jedes Maß trug sie fein säuberlich in ihr Notizbuch ein und fotografierte zum Schluss noch den gedeckten Tisch mit unserem Essen. Der Designer-Vater vergaß sogar, für seine Familie etwas zu bestellen, obwohl der Kellner ganz nahe war und sich nach seinen Wünschen erkundigte. Ich glaube, Designer-Vater dachte, er sei auf einem anderen Planeten gelandet. Er konnte nicht wissen, dass Coralie ein Fußballspiel verfolgte und Hanne den Tisch wegen der Homepage des cbf ausmessen musste. Offensichtlich war ihm aber unser Tun auch nicht egal, denn er ließ weiterhin absolut keinen Blick von uns - was ja auch sehr ungewöhnlich ist. Vielleicht war er eingesperrt gewesen und zum ersten Mal wieder unter Menschen. Dann haben wir allerdings mit unserer Vorstellung ihm etwas Gutes angetan. Wie auch immer. Ich höre allerdings in mich hinein, ob ich ihn abstoßend finden soll oder ob er mir einfach nur leid tut.

Ich muss mich noch entscheiden. Auf jeden Fall gehört es sich nicht, Menschen, wie auch immer sie gestrickt sind, penetrant und aufdringlich zu beobachten. Ich werde mir das hinter die Ohren schreiben. Designer-Vater ist jetzt vor mir sicher - lass ihn doch!!!

Ingrid Gruel