Vor einiger Zeit habe ich auf der Kommentarseite der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen Artikel gelesen, der als Aufhänger von einem dementen Mann in einer stationären Einrichtung erzählte, der durch sexuell ungewöhnliches Verhalten auffiel, da er beispielsweise bei weiblichen Pflegekräften „übergriffig“ wurde. Da der Mann über ausreichende finanzielle Mittel verfügte, entschloss sich das Pflegepersonal der Einrichtung, dem Mann bezahlten Sex zu ermöglichen. Von diesem Einzelfall kommt der Autor des Artikels zur allgemeinen Tendenz, dass Dritte – zum vermeintlichen Wohl der Betroffenen – alte, demente oder behinderte Menschen zu ihrem sexuellen Glück verhelfen möchten, indem sie Besuche im Bordell ermöglichen oder Prostituierte und Sexualassistenten in die jeweiligen Einrichtungen holen. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich diese Tendenz zumindest gegenüber Menschen mit Behinderung nicht bestätigen. Tatsächlich ist Sexualität in diesem Zusammenhang neben Partnerschaft, Kindern und Familie nach wie vor eines der größten Tabuthemen. Als die pflegepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag Ende letzten Jahres finanzielle Leistungen für die Inanspruchnahme von Sexdiensten forderte, titelte die Presse mit reißerischen Schlagzeilen wie "Sex auf Krankenschein" und traf dabei auf ein heftiges Echo bei ihren Leserbriefschreibern. Auf große Skepsis stieß in manchen Kreisen auch der 2009 von den Grünen gestellte Antrag, die Sperrbezirksverordnung in München zu lockern, um sexuelle Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen.
Umso wertvoller sind deshalb Veranstaltungen, die sich auf differenzierte Weise mit dieser Thematik auseinandersetzen. So lief im Februar dieses Jahres im Monopol-Kino der Dokumentarfilm „Love & Sex & Rock’n Rollstuhl“, der offenbar so sehr ein den Betroffenen auf den Nägeln brennendes Thema ansprach, dass wegen der großen Nachfrage nach Rollstuhlplätzen eine zweite Vorstellung anberaumt werden musste. (Die „Clubpost" berichtete.)
Im Juni besteht nun die Gelegenheit, sich im Pathos München (Ateliers) auf dem Schwere-Reiter-Gelände die Performance mit dem Titel „Fucking Disabled“ über das Thema Behinderung und Sex anzusehen. Dabei handelt es sich um eine kollektive poetische Stückentwicklung über Sex und Begehren. Premiere ist am 2. Juni, weitere Vorstellungen finden im Juni statt (www.pathosmuenchen.de).

Wolfgang Vogl